Bei Patienten mit bösartigen Tumoren des Rektums (Mastdarm), die die Darmwand überschreiten oder die die angrenzenden Lymphknoten im Beckenbereich befallen haben, ist neben der operativen Tumorentfernung die Strahlentherapie − ggfs. mit begleitender Chemotherapie − eine wichtige Säule der Therapie. Das Ziel ist die Heilung der Erkrankung.
Das Rektum (Mastdarm) ist ungefähr 16 cm lang (mit einem starren Endoskop von der sogenannten Anokutan-Linie gemessen, der Stelle, wo der Anus in die Gesäßhaut übergeht).
Man unterteilt das Rektum in
− das tiefsitzende Rektum (0−6 cm ab Anokutanlinie)
− das mittlere Rektum (6−12 cm a. A.) und
– das obere Rektum (12−16 cm a. A.)
Bei Tumoren des oberen Rektums wird eine Strahlentherapie zurückhaltend gesehen und die Therapie analog zu der des Dickdarmkrebses ausgerichtet.
Ob eine Strahlentherapie sinnvoll ist oder auch eine zusätzliche Chemotherapie indiziert ist, wird immer interdisziplinär in der gemeinsamen Konferenz unseres zertifizierten Darmkrebszentrums entschieden.
Ist eine Strahlentherapie aufgrund des Ausbreitungsstadiums sinnvoll, kann diese entweder vor oder nach der Operation durchgeführt werden. In den letzten Jahren hat sich aber gezeigt, dass eine präoperative (neoadjuvante) Strahlentherapie zu besseren Ergebnissen führt und auch deutlich besser vertragen wird. Daher wird dieses Vorgehen, wenn möglich, bevorzugt.
Manchmal kann aber die primäre Operation sinnvoll sein, z.B. bei Tumoren, die noch in einem früheren Stadium sind und eine zusätzliche Strahlentherapie nicht nötig ist, oder auch bei Tumoren, die durch Blutung oder Verschluss des Darmes Probleme machen.
Bei einer tumorbedingten Enge des Darmes kann es sinnvoll sein, vor Beginn einer neoadjuvanten Bestrahlung vorübergehend ein Stoma (künstlicher Darmausgang) anzulegen, damit die Darmpassage funktioniert. Sollte dies notwendig sein, werden Sie unsere Ärzte und unsere Stomaberatung ausführlich informieren.
Das Ziel der genannten Therapien ist eine dauerhafte Heilung.
Mögliche Arten der Bestrahlung vor einer Operation
Es gibt zwei verschiedene Therapieschemata der neoadjuvanten Bestrahlung, die je nach Situation und Ausbreitungsstadium eingesetzt werden:
1. KURZZEIT-VORBESTRAHLUNG
Diese Strahlentherapie erfolgt präoperativ und dauert eine Woche (5 Bestrahlungen). Sie erfolgt entsprechend an 5 Tagen innerhalb einer Woche mit höherer täglicher Dosis.
Die OP erfolgt dann rasch innerhalb von 3–5 Tagen nach Ende der Bestrahlung. Eine parallele Chemotherapie erfolgt bei der Kurzeit-Vorbestrahlung nicht.
2. RADIO-CHEMOTHERAPIE
Bei dieser Behandlung erhalten die Patienten eine Bestrahlungsserie über 5 ½ Wochen (25 bis 28 Bestrahlungen). Die Bestrahlung wird jeweils an fünf Tagen der Woche von Montag bis Freitag durchgeführt. Parallel dazu erfolgt eine Chemotherapie, meist in Tablettenform oder als Infusion.
Diese Behandlung wird gegenüber der Kurzzeit-Vorbestrahlung bevorzugt, wenn die Erkrankung schon weiter fortgeschritten ist und/oder eine Tumorverkleinerung (Schrumpfung) vor der OP erwünscht ist. Dies kann sinnvoll sein z.B. bei Tumoren, die nahe am Darmausgang liegen, um den Schließmuskel erhalten zu können (sogenannte „kontinenzerhaltende“ OP).
Die OP erfolgt dann etwa 6–8 Wochen nach Abschluss der kombinierten Behandlung.
Nach der Operation wird in einer erneuten gemeinsamen Konferenz geprüft, ob noch eine Fortsetzung der Chemotherapie notwendig ist. Dies ist von initialen und postoperativen Tumorstadium abhängig.
Neues Konzept „Organerhalt“
Aktuelle Studien geben Hinweise, dass unter bestimmten Voraussetzungen nach erfolgter Radiochemotherapie der Verzicht auf die Operation erwogen und der Enddarm somit komplett erhalten werden kann („Organerhalt“).
Die Datenlage ist aber noch zu begrenzt, um eine eindeutige Empfehlung abgeben zu können.
Daher ist ein solches Vorgehen eine individuelle Entscheidung, die unter Abwägung vieler Faktoren interdisziplinär und im Gespräch mit dem Patienten entschieden werden muss. In dem Gespräch mit dem Patienten müssen die Erwartungen und Wünsche des Patienten an die Therapie, an die onkologische Sicherheit und auch die Lebensqualität fokussiert werden.
Voraussetzungen für ein organerhaltendes Vorgehen sind u.a:
klinisch und in den Kontrolluntersuchungen vollständige Rückbildung des Tumors unter der Radiochemotherapie
lokal begrenztes Tumorstadium, keine befallenen Lymphknoten
engmaschige Nachsorge
Die genauen Voraussetzungen, aber auch möglichen Risiken einer organerhaltenden Therapie bei Rektum-Karzinom besprechen wir gerne mit Ihnen in einem persönlichen Gespräch.
Postoperative Radiochemotherapie
In seltenen Fällen kann es sein, dass anhand der präoperativen Untersuchungen von einem frühen Stadium der Erkrankung auszugehen ist, die feingewebliche Untersuchung des Pathologen postoperativ aber eine fortgeschrittenere Erkrankung ergibt. In diesem Fall wird die Operation zeitnah durchgeführt.
Sollte sich nach der mikroskopischen Untersuchung durch unsere Pathologen ein fortgeschritteneres Stadium zeigen (z.B. Wachstum über die Darmwand oder ein Tumorbefall der angrenzenden Lymphknoten), wird postoperativ eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie über 5 ½ Wochen in gleicher Weise wie präoperativ durchgeführt. An die fünfeinhalbwöchige Bestrahlungsserie mit begleitender Chemotherapie schließt sich dann in der Regel noch eine alleinige Chemotherapie an.