Nach über vierzig Wochen warten, freuen, Angst haben, wieder warten und freuen ist es dann endlich soweit: Wir sind auf dem Rückweg vom Harburger Weihnachtsmarkt und ich merke deutlich, dass wir nicht mehr lange zu zweit sein werden. Aber der Tatort muss noch sein. Das ist Gesetz. Kurz nach zehn ist der Mörder gefasst und der letzte Tee getrunken. Ich schneide noch schnell einen Apfel für die lange Zeit im Kreißsaal auf. Die Wehen kommen jetzt alle drei Minuten und dauern circa eine Minute. Bei jeder Wehe stehen die Gedanken still. Wir steigen ins Auto. Zum Glück kenn ich den Weg ins Krankenhaus. Ich stehe zum ersten Mal vor der Kreißsaal-Tür und muss klingeln. Meinen Schlüssel habe ich abgegeben. Ein merkwürdiges Gefühl. Wir laufen Maria in die Arme, unserer Leitenden Hebamme. Wir arbeiten sonst viel zusammen. Ich vertraue ihr. Es kann losgehen.
Ausgerechnet heute ist der Kreißsaal komplett voll und wir müssen erst noch ein bisschen durch die Klinik spazieren. Die Flure sind für mich, so mitten in der Nacht, ungewohnt leer. Wir klingeln wieder und gehen erst mal in ein Untersuchungszimmer. Der Muttermund ist schon drei Zentimeter geöffnet. Es soll wohl doch schneller gehen, als alle fürs erste Kind prophezeit hatten. Gegen Mittagnacht wechseln wir in eines der Kreißzimmer, in mein Lieblingszimmer, das blaue mit der Geburtswanne. Ich schaffe noch eine Runde um die Wanne, dann zieht mich die nächste Wehe in die Knie, dann auf den Boden. Hier verbringe ich die nächsten zwei Stunden. Maria schaut immer wieder nach mir. Mich beeindruckt, dass sie anhand meiner Geräusche genau sagen kann, wie weit der Muttermund schon sein müsste. Bei angenommenen acht Zentimetern schickt sie mich noch mal ins Bad. Danach soll ich aufs Kreißbett für die nächste Untersuchung und ein CTG krabbeln.
PENG. Meine Fruchtblase ist geplatzt. Dann geht alles ganz schnell. Die Untersuchung fällt aus und die Presswehen setzen ein. Um 03:42 Uhr halten wir unsere Pippilotta in den Armen. Sie ist wundervoll und ich weine vor Glück. Doch irgendwie will ihr Sauerstoffwert einfach nicht besser werden. Sie muss mit dem Papa ins Untersuchungszimmer nach nebenan. Die Kinderärzte untersuchen sie. Ich sitze in der Zeit alleine auf dem Kreißbett und höre den anderen Frauen zu. War ich auch so laut? Der Papa informiert mich: Pippilotta hat unter dem ganzen Geburtsstress ins Fruchtwasser gemacht und bei ihrem ersten Atemzug das verunreinigte Wasser aus dem Mund eingeatmet. Ihr kleiner Körper reagierte sofort mit einer Lungenentzündung. Jetzt bekommt sie sieben Tage lang Antibiotika. Sie muss auf die Neugeborenen-Intensivstation umziehen. In dieser Zeit begleiten uns Kabel, piepende Monitore und ein Sauerstoff-Zugang in ihrer winzigen Nase.