Diskriminierung hat hier keinen Platz
Veränderungen sind ein fester Bestandteil des Lebens. Technischer Fortschritt, aber auch Kultur, Sprache und das Verständnis der Menschen untereinander stehen nicht still, ändern sich und hinterlassen Spuren. Die Auswirkungen davon bekommen auch die Mitarbeitenden der Helios Kliniken in Leipzig, Leisnig und Schkeuditz bei ihrer Arbeit zu spüren. Als eine der ersten ihrer Art reagiert die Medizinische Berufsfachschule Helios Leipzig deshalb darauf und zieht richtungweisende Konsequenzen.
Vor ihrem abschließenden Examen müssen angehende Pflegefachfrauen und -männer eine Menge Lernstoff aufnehmen. Nicht zuletzt aufgrund pausenloser Weiterentwicklungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wird ihre Arbeit immer komplexer und vielschichtiger. Doch die beruflichen Hürden, die es zu meistern gilt, sind nicht nur fachlicher Natur. Wer in der Patientenpflege erfolgreich sein will, braucht vor allem eines – Empathie. Mehr denn je müssen Pflegefachkräfte heute sensibel agieren, nicht zuletzt bei der Frage, welche sexuelle Identität oder Geschlechtsidentität zu versorgende Patient:innen für sich erklären: ist er/sie lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter oder queer? Diese Vielschichtigkeit der sexuellen Identitäten und Geschlechtsidentitäten wurde zum Kürzel LGBTIQ* zusammengefasst.
Dem Thema gerecht werden
Zwar ist das Thema Diversität, also die Vielfalt an Alter, körperliche oder geistige Behinderungen, die ethnische Herkunft, das Geschlecht, Religion und Weltanschauung sowie sexuelle Identität, schon seit geraumer Zeit Bestandteil des Unterrichtes in Leipzigs Medizinischer Berufsfachschule von Helios, doch damit, sagt Schulleiter Hendrik Ott-Loffhagen, „werde man dem Ganzen nur teilweise gerecht.“ Aus diesem Grund hat er gemeinsam mit seinen Kolleginnen entschieden, den Jugendlichen ab sofort Diversität als separates Wahlpflichtfach anzubieten. Den entsprechenden Stundenverteilungsplan hierfür hat Juliette Nadine Becker ausgearbeitet. „Um tiefer auf das Thema eingehen zu können, haben wir entschieden, stets zwei Hauptthemen festzulegen, die je nach Schuljahr variieren”, erläutert sie. Aktuell, fährt Juliette Nadine Becker fort, seien dies LGBTIQ* und Rassismus.
Fast 27 Prozent der deutschen Bevölkerung weist inzwischen einen Migrationshintergrund auf. Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft bekommen nicht nur Patient:innen zu spüren, auch Pflegefachkräfte sind dieser ausgesetzt. Tausende Medizinische Fachkräfte aus aller Welt zieht es mittlerweile nach Deutschland, Ärzte gleichermaßen wie Pflegekräfte. Um das Niveau der medizinischen Versorgung weiterhin gewohnt hoch zu halten, werden sie dringend gebraucht.
Offener Rassismus
Dennoch sind sie in ihrer Arbeit vielfach rassistischen Bemerkungen ausgesetzt. „Das betrifft auch einen Teil unserer 150 Schülerinnen und Schüler. Im Unterricht sollen sie daher lernen, wie sie mit solchen Situationen umgehen. Letztendlich geht es darum, bei allen Jugendlichen eine Haltung zu bilden, ihnen die Chance zu geben, sich menschlich weiterzuentwickeln”, verdeutlicht Ott-Loffhagen. Dass man rassistische Gedanken damit nicht dauerhaft niederringen kann, ist dem Schulleiter bewusst. Doch indem man die Jugendlichen, Deutsche wie Migranten, im Verlaufe ihrer Ausbildung für dieses Thema sensibilisiert, können sich zukünftig Handlungsoptionen herausbilden, bei der alle Pflegekräfte zusammenstehen und der Diskriminierung ihrer Kolleginnen oder Kollegen geschlossen entgegentreten.
Keine Benotung
Etwa 20 Unterrichtsstunden sind während der dreijährigen Ausbildung für das Wahlfach Diversität vorgesehen. Noten erhalten die Auszubildenden dafür nicht. Auf ihren Zeugnissen ist lediglich die Teilnahme am Fach vermerkt. Gleichwohl sind Zuspruch und Interesse daran überaus positiv. „Sämtliche Aspekte des Themas Diversität sind schon seit geraumer Zeit ein Teil der Gesprächskultur Jugendlicher. Sie gehen damit weitaus offener um als ältere Generationen, die zumeist einen anderen geschichtlichen Kontext haben und sich mit der neuen Denkweise schwerer tun”, erläutert Juliette Nadine Becker.
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im medizinischen Bereich jedoch gehören alle Facetten der Diversität zum normalen Berufsalltag. Die hiesige Gesellschaft zeigt sich inzwischen offener bei der Frage, ob jemand Mann oder Frau ist und so auch empfindet, ob Patientinnen ein Kopftuchtuch im Sprechzimmer tragen oder welche Hautfarbe den Patienten kennzeichnet. Mediziner:innen und Pflegekräfte haben sie alle gleich zu behandeln. „Soziale Ungerechtigkeiten resultieren in erster Linie aus Diskriminierung. Dagegen gilt es anzugehen, von Beginn an”, gibt Hendrik Ott-Loffhagen die Marschroute der Ausbildungseinrichtung vor.
Großer Zuspruch
Dass jedes Jahr fast 800 Bewerbungen für die 40 zu vergebenen Ausbildungsplätze der Medizinischen Berufsfachschule Helios in Leipzig eingehen, zeigt, dass trotz aller Unkenrufe die Pflege einen hohen Stellenwert im Bewusstsein junger Menschen hat. Im Gegenzug sieht sich die Schule verpflichtet, die Jugendlichen so gut es geht auf den Beruf und die damit verbundenen Sicht- und Handlungsweisen vorzubereiten. Einschließlich der Vielschichtigkeit des Themas Diversität.