Kann Darmkrebs vererbt werden?
Die meisten diagnostizierten Darmkrebsfälle treten als Einzelfall auf und lassen sich nicht mit einer erblichen Vorbelastung begründen. Besteht allerdings eine familiäre Vorbelastung, steigt das Risiko von Darmkrebs betroffen zu sein an.
Ist ein Verwandter ersten Grades, wie Eltern, Geschwister oder Kinder an Darmkrebs erkrankt, steigt das eigene Erkrankungsrisiko um das Zwei- bis Dreifache. Sind mehrere nahe Familienmitglieder betroffen oder hat ein Verwandter vor dem 60. Lebensjahr die Diagnose Darmkrebs erhalten, erhöht sich das Erkrankungsrisiko um das Drei- bis Vierfache.
Neben dem familiären Risiko gibt es zudem die Möglichkeit, dass Darmkrebs in der Familie vererbt wird. Die zwei häufigsten Darmkrebsformen, die auf genetische Faktoren zurückgehen, sind das Lynch-Syndrom (HNPCC) sowie die familiäre adinomatöse Polyposis (FAP). Betroffene haben ein besonders hohes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Hier empfiehlt sich eine frühzeitige Darmkrebsvorsorge.
Mit dem Zentrum für hereditäre Tumorerkrankungen am Helios Universitätsklinikum Wuppertal gehört die bundesweit einzige chirurgische Fachabteilung, die sich primär mit der Betreuung von Familien mit einer familiären oder erblichen Veranlagung zu bösartigen Erkrankungen beschäftigt, zum Helios Netzwerk Krebsmedizin.
Prof. Dr. med. Christian Prinz, Leiter des Darmkrebszentrums Wuppertal, beschreibt die Risikogruppen, die sich frühzeitig einer Darmspiegelung unterziehen sollten.
Das Lynch-Syndrom
Das Lynch-Syndrom oder HNPCC steht für „hereditäres nicht-polypöses kolorektales Karzinom“. Es macht schätzungsweise ein bis drei Prozent aller Darmkrebserkrankungen aus. Ursache für die Krebsbildung ist hierbei die erbliche Veranlagung zur Mutation der sogenannten DNA-Mismatch-Reperaturgene.
Die Diagnose HNPCC ist dann wahrscheinlich, wenn bereits mehrere Familienmitglieder an Dickdarmkrebs erkrankt sind.
Auch bei diesem Krankheitsbild entstehen die bösartigen Tumore aus gutartigen Polypen (Adenome). Im Gegensatz zur familiären adenomatösen Polyposis (FAP) treten beim Lynch-Syndrom aber sehr viel weniger Polypen auf, weswegen HNPCC sich nur schwer von einem sonst auftretenden Dickdarmtumor unterscheiden lässt.
Als typisches Merkmal gilt, das HNPCC vor allem junge Menschen betrifft. Während Dickdarmkrebs üblicherweise erst nach dem 65. Lebensjahr auftritt, erkranken HNPCC-Patient:innen durchschnittlich mit etwa 40 Jahren. Aber auch Erkrankungen im Alter von 25 oder 30 Jahren sind keine Seltenheit.
Neben dem Dickdarm können beim Lynch-Syndrom auch die Gebärmutter, der Magen, der Dünndarm oder die ableitenden Harnwege befallen sein. Gehäufte Krebserkrankungen in einer Familie können daher ein Zeichen für ein HNPCC sein und sollten entsprechend getestet werden.
Die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)
Die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) ist die häufigste bekannte erbliche Polypen-Erkrankung. Bei dieser Erkrankung entstehen die gutartigen Polypen (Adenome) primär im Dickdarm. Man unterscheidet die klassische Form einer FAP und eine abgebremste (attenuierte) Form.
Oft tritt die Dickdarmpolyposis gemeinsam mit anderen Symptomen der zugrundeliegenden genetischen Veränderung auf:
- Polypen des oberen Magen-Darm-Trakts
- gutartige Knochenmehrbildungen, oft im Gesichtsschädelbereich (Osteome)
- gutartige Hautgeschwulste (Epidermoidzysten)
- Pigmentflecken an der Netzhaut, die Augenärzt:innenbei einer Augenhintergrundspiegelung feststellen könnnen
- Zahnanomalien (unter- oder überzählige Zähne)
- bindegewebige Tumore, die bei der FAP oft im zeitlichen Zusammenhang mit der erforderlichen Dickdarmentfernung auftreten (Desmoide)
Aus einer unbehandelten FAP entwickelt sich immer Dickdarmkrebs, oft bereits im jungen Alter. Eine Polypenabtragung ist bei der Vielzahl der Polypen nicht ausreichend, um Darmkrebs zu vermeiden. Vielmehr ist es bei FAP-Patient:innen in aller Regel erforderlich, den End- und Dickdarm komplett zu entfernen.
Diese Operation sollte weder zu früh noch zu spät durchgeführt werden. Bei der klassischen Form einer FAP wird der Eingriff im Allgemeinen mit einem sogenannten Dünndarmpouch durchgeführt, bei dem der Dünndarm durch ein Reservoir aus künstlichen Darmschlingen direkt mit dem Darmausgang verbunden wird. Die Lebensqualität nach dieser Operation ist oft sehr gut. Die Kontinenz, also die Fähigkeit, den Stuhl zu halten, kann meist vollständig erhalten werden.
Risikofaktor Lebensalter
Das Risiko an Darmkrebs zu erkranken, steigt mit zunehmendem Lebensalter: 90 Prozent aller Darmkrebserkrankungen werden nach dem 50. Lebensjahr diagnostiziert. Rund drei Viertel treten sogar erst ab dem 65. Lebensjahr auf.
Bei jüngeren Erwachsenen nimmt die Zahl der Darmkrebserkrankungen zwar europaweit zu, jedoch ist die Erkrankungsrate grundsätzlich sehr niedrig. So zeigt eine Auswertung aus 20 europäischen Ländern, dass zwischen 1990 und 2016 von 143,7 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 49 Jahren 187.918 oder 0,13 Prozent an Darmkrebs erkrankten.
Die Studie zeigt außerdem, dass die Zahl der neu auftretenden Darmkrebserkrankungen in der jüngsten betrachteten Altersklasse (20 bis 29 Jahren) zwischen 2004 und 2016 mit durchschnittlich 7,9 Prozent pro Jahr am stärksten gestiegen ist.
In der Altersklasse 30 bis 39 Jahre betrug der Anstieg zwischen 2005 und 2016 rund 3,9 Prozent pro Jahr. In der Altersklasse von 40 bis 49 Jahren lag er bei jährlich rund 1,6 Prozent. Warum Darmkrebs im jüngeren Erwachsenenalter zunimmt, ist bisher nicht bekannt. Vermutet wird, dass die maßgeblichen Darmkrebs-Risikofaktoren eine Rolle spielen.[1]
Darmkrebs im Alter von 15 Jahren und jünger
Darmkrebs ist bei Kindern und Jugendlichen äußerst selten und betrifft dann vor allem den Blinddarm in Form eines Appendixkarzinoms. Es wird geschätzt, dass von 1.000 Blinddarmentfernungen im Kindesalter eine auf einen Tumor des Blinddarms zurückgeht.[2]
Darmkrebs im Alter von 16 bis 30 Jahren
Erkranken Menschen in dieser Altersgruppe an einem kolorektalen Karzinom, liegt oft eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, wie Colitis ulcerosa oder eine vererbte Genmutation vor.
So werden Patient:innen mit familiärer adenomatöser Polyposis (FAP) bereits ab dem 10. Lebensjahr in die Darmkrebs-Früherkennung einbezogen. Nicht selten treten erste Entartungen von Darmpolypen bei dieser Risikogruppe bereits ab dem 15. Lebensjahr auf.
Patient:innen mit HNPCC werden ab dem 25. Lebensjahr in eine engmaschige Darmkrebsvorsorge aufgenommen. Da die zugrundeliegende Genmutation neben dem Darm auch andere Organe betreffen kann, ist die Untersuchung entsprechend umfassend:
Untersuchungen zur Früherkennung eines kolorektalen Karzinoms bei HNPCC-Patient:innen nach S3-Leitlinie
Quelle [3]
Darmkrebs im Alter von 30 bis 40 Jahren
Wie die Auswertung der Krebsregisterdaten aus 20 europäischen Ländern für die Jahre von 1990 bis 2016 zeigt, dass das Risiko, im Alter von 30 bis 40 Jahren an Darmkrebs zu erkranken, sehr gering ist.
Ein etwas höheres Erkrankungsrisiko besteht auch in dieser Altersgruppe für Menschen mit chronischer Entzündung des Darmes bei Colitis ulcerosa sowie Morbus Crohn.
Darmkrebs vorbeugen und davor schützen
Auch wenn die Ursachen von Darmkrebs – und damit auch die Möglichkeiten einer effektiven Vorbeugung – nicht abschließend geklärt sind, gibt es doch einige Faktoren, die das Darmkrebsrisiko reduzieren können:
- Verzicht auf Zigarettenkonsum
- Reduzierung von Übergewicht und erhöhtem Bauchumfang
- Reduzierung des Alkoholkonsums
- häufiger Verzehr von Gemüse (vor allem Kohl und Brokkoli) und Obst
- ballaststoffreiche Ernährung (mehr als 30 Milligramm Ballaststoffe pro Tag)
- fleischarme Ernährung (betrifft Rind, Kalb, Schwein, Lamm)
- ausreichend Bewegung oder Sport (mindestens zwei Stunden pro Woche, optimal sieben Stunden pro Woche)
Ernährungsgewohnheiten
Viele Studien zeigen eine Verbindung zwischen dem häufigen Verzehr von rotem Fleisch (Rind, Kalb, Schwein, Lamm) sowie weiterverarbeitetem Fleisch (Wurst, gepökeltes Fleisch, Dosenfleisch) und dem erhöhten Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Eine schützende Wirkung hat hingegen eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse. Vor allem Kohlgewächse und Brokkoli können das Tumorrisiko senken.
Das Motto sollte daher lauten: „Viel aus dem Garten, wenig aus dem Stall.“ Konkret heißt das: Fleisch sollte nicht häufiger als zwei Mal pro Woche als Hauptmahlzeit gegessen werden. Gleichzeitig sollte mehr Obst und Gemüse verzehrt werden.
Vorbeugend wirkt zudem eine ballaststoffreiche Ernährung mit mindestens 30 Milligramm Ballaststoffen pro Tag. Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Ballaststoffen sind unter anderem Vollkornbrot, Früchtemüsli, Trockenobst, Hülsenfrüchte und Salat.
Sport und Bewegung
Auch hier zeigt die Studienlage einen Zusammenhang zwischen dem Aktivitätsgrad und dem Darmkrebsrisiko: So reduziert regelmäßige Bewegung, wie 30 bis 60 Minuten schnelles Gehen pro Tag, das Erkrankungsrisiko um bis zu 40 Prozent.
Bei sportlich aktiven Menschen sind darüber hinaus seltener Darmpolypen nachweisbar, die eine gutartige Vorstufe des kolorektalen Karzinoms darstellen.
Übergewicht
Ein BMI (Body-Mass-Index) von mehr als 25 erhöht das Darmkrebsrisiko nachweislich, ebenso ein zunehmender Bauchumfang sowie eine kontinuierliche Gewichtszunahme im Erwachsenenalter. Die klare Empfehlung lautet daher: Übergewichtige sollten ihr Gewicht reduzieren. Normalgewichtige sollten ihr Körpergewicht stabil halten.
Rauchen und Alkohol
Das Robert Koch-Institut benennt den Faktor Rauchen neben dem Übergewicht als größten Risikofaktor für Darmkrebs. Raucher haben ein um 16 Prozent höheres Risiko, an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Die Krebsgefahr steigt mit zunehmender Dauer und Häufigkeit des Rauchens (Dosis-Risiko-Beziehung). Zudem sind rauchende Männer stärker gefährdet als rauchende Frauen.
Ebenso führt regelmäßiger Alkoholkonsum von mehr als 45 Gramm pro Tag – je nach Alkoholgehalt entspricht das ca. 1,2 Liter Bier oder 0,4 Liter Wein – zu einem erhöhten Darmkrebsrisiko. Dabei ist egal, welches alkoholische Getränk konsumiert wird. Ausschlaggebend ist allein die Menge an Alkohol. Menschen, die keinen oder weniger als 25 Gramm Alkohol pro Tag trinken, haben hingegen ein reduziertes Erkrankungsrisiko.
Die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ist deswegen eindeutig: Auf das Rauchen von Zigaretten sollte verzichtet und der Genuss von Alkohol zumindest eingeschränkt werden.