ADHS bei Kindern: Was ist das?
"Rund fünf Prozent aller Kinder haben ADHS. Davon sind Jungen circa viermal häufiger betroffen als Mädchen", erklärt Dr. Martin Jung , Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in der Helios Klinik Schleswig.
ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. Häufig wird in diesem Zusammenhang umgangssprachlich auch vom „Zappelphilipp-Syndrom“ gesprochen.
ADHS war lange Zeit im Verruf, eine Modekrankheit zu sein. Zeitungen, Radios und Fernsehen berichteten regelmäßig über die steigende Zahl betroffener hyperaktiver Kinder. ADHS schien eine Ausrede angeblich überforderter Eltern, eine Folge der Reizüberflutung durch die neuen Medien zu sein. „Doch die Geschichte vom Zappelphilipp wurde geschrieben, lange bevor es Smartphones gab“, sagt Dr. Jung.
Symptome und Diagnose des ADHS
Bereits im Kindergartenalter können sich teilweise massive Verhaltens- und Lernprobleme zeigen. „Wenn ein Kind in seiner Entwicklung beeinträchtigt ist, etwa wenn der Schulerfolg gefährdet, der Kontakt zu Gleichaltrigen problematisch oder das Verhalten in der Familie auffällig ist, sollten Eltern dazu eine Ärztin oder einen Arzt befragen“, rät Dr. Jung. Zu den typischen Symptomen des ADHS zählen Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksamkeitsprobleme. Diese Symptome äußern sich, wenn das Kind immer hibbelig ist, von einer Tätigkeit zur nächsten wechselt, ohne sie zu Ende zu bringen, und sich kaum konzentrieren kann.
Ob wirklich ADHS vorliegt, ist nicht immer so leicht zu beantworten. Daher beziehen Dr. Jung und sein Team bei der Diagnosestellung immer andere mögliche Ursachen für die sozialen Schwierigkeiten ein, also die Gefährdung der schulischen Laufbahn und des Freizeitlebens. Häufig zeigen Kinder mit ADHS schlechte schulische Leistungen. Ihnen fällt das Lernen schwerer, sie haben meist eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und eine schlecht leserliche Schrift. Jugendliche mit ADHS sind weiterhin unaufmerksam und flüchten sich im Unterricht in Rückzug oder eine Anti-Haltung.
Wie entsteht ADHS?
Die Ursachen des ADHS sind noch nicht vollständig geklärt. Es scheint sicher, dass eine genetische Veranlagung im Zusammenspiel mit weiteren Umweltfaktoren zu den Symptomen des ADHS führt. Beim ADHS spielen Botenstoffe des Gehirns, sogenannte Neurotransmitter wie Dopamin oder Noradrenalin, eine besondere Rolle.
Möglicherweise schaue ein hibbeliges Kind aber auch zu viel fern oder schlafe unregelmäßig. Wichtig sei daher, dass die Diagnose ADHS nur gestellt wird, wenn diese Ursachen ausgeschlossen wurden, so der Experte.
Therapie für hyperaktive ADHS-Kinder
Die Grundzüge der wirksamen Therapie sind in Leitlinien für Behandler:innen festgelegt, die von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften herausgegeben werden. Die wirksamen Säulen der Behandlung sind Beratung des Umfeldes und der Patient:innen, Verhaltenstherapie und Medikamente. Wie diese Bausteine eingesetzt werden, richtet sich auch nach dem Schweregrad der Störung.
Selbst nach der Diagnose ist das Problem nicht einfach behoben. Eltern sehen sich oft mit Ratschlägen konfrontiert, die sie zweifeln lassen. Häufig werde ADHS einfach von anderen abgetan und der Rat erteilt, dass sich das Kind nur mal ordentlich austoben müsse, berichtet Dr. Jung.
„Natürlich hilft Sport, allerdings wirkt es nicht langfristig. Ein Kind kann sich heute auf dem Sportplatz austoben und trotzdem fällt es ihm am nächsten Tag in der Schule schwer, still zu sitzen“, sagt Dr. Jung.
Liegt beim Kind ein Dopaminmangel vor, ist es durchaus sinnvoll Medikamente zu verabreichen. So gehen Forscher:innen davon aus, dass bei Kindern mit ADHS der Botenstoff Dopamin im Gehirn Informationen nur eingeschränkt überträgt. Die Folge ist, dass Kinder Reize nur schlecht filtern können. Stillsitzen, zuhören, einen Gedanken zu Ende führen – das ist für sie fast unmöglich.
Mit Wirkstoffen wie Methylphenidat lässt sich der Dopaminmangel ausgleichen. Dennoch hat auch Methylphenidat Nebenwirkungen. Dr. Jung erklärt: „Sie ähneln denen von Kaffee. Der Kreislauf wird schneller, Puls und Blutdruck können steigen, Übelkeit und Schlafprobleme auftreten.“ Bei einer klaren Symptomatik könne die Therapie mit Medikamenten jedoch durchaus sinnvoll sein. In der Regel wirkt Methylphenidat innerhalb einer halben Stunde. Liegen andere Ursachen oder Komplikationen vor, hilft eine medikamentöse Behandlung dem Kind nicht so gut.
Eltern sind ein wichtiger Teil der Therapie
Generell sollten Beratung und Trainings immer Teil der Behandlung sein. Am Anfang einer ADHS-Therapie werden Eltern und Kinder stets intensiv beraten. Eltern müssen zum Beispiel lernen, ihr hyperaktives Kind richtig zu loben. "Wenn alle sagen, dein Kind nervt, kommt Frust auf. Man meckert noch mehr. Dann muss man sich besonders auf das richtige Loben konzentrieren", erklärt der Chefarzt.
Eltern erlernen neue Tiefen in der Erziehung ihres Kindes: Wichtig ist, dass sie üben, liebevoll konsequent zu sein. Sie sollen klare Anweisungen geben, ohne zu schreien und ohne zu diskutieren. Eltern von schulpflichtigen ADHS-Kindern lernen zudem, wie sie am besten bei den Hausaufgaben unterstützen. Das Kind sollte zum Beispiel immer am selben Tisch sitzen, auf dem sich keine ablenkenden Dinge wie Buntstifte oder Comics befinden. „Strukturierte Arbeitsplätze helfen Kindern, die innere Klarheit zu bewahren“, weiß der Mediziner.
ADHS-Betroffenen einen guten Weg für die Zukunft ebnen
Therapie, Trainings und Medikamente dienen dazu, die Folgen der ADHS zu mindern und einzudämmen. „Je früher Kinder, Eltern und Ärzt:innen gemeinsam einer sozialen Ausgrenzung entgegensteuern, umso besser“, so Dr. Jung. Kommen Kinder mit ADHS in die erste Klasse, würden sie oft wegen ihres Verhaltens wieder verwiesen. Dieser Schulausschluss könne Folgeschäden wie ein geringes Selbstwertgefühl und ein gestörtes Sozialverhalten nach sich ziehen. Dr. Jung rät, ADHS früh zu behandeln. „Dazu müssen auch nicht immer Medikamente verabreicht werden.“
Kinder lernen, sich selbst zu verstehen
Bei der Behandlung geht es darum, hyperaktive Kinder zu trainieren, sich durch Selbstgespräche und Selbstinstruktionen zu konzentrieren. Sie lernen, sich selbst Anweisungen zu geben. Zum Beispiel: „Als erstes räume ich meinen Tisch auf, dann löse ich die Matheaufgabe.“
In kleinen Gruppen üben sie, ihre Impulsivität zu kontrollieren, sich Aufgaben genau durchzulesen und diese in kleine Teile zu zerlegen. So können sie die Aufgabe Schritt für Schritt abarbeiten und dabei immer wieder Pausen machen.
Subtyp: Diagnose ADS – das sollten Eltern wissen
Beim ADS, dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, sind betroffene Kinder meist verträumt, ruhig und in sich gekehrt. Da sie dadurch nicht so stark auffallen, wie Kinder, die hyperaktiv sind, wird die Diagnose meist viel später gestellt. Dennoch benötigen auch diese Kinder Hilfe, da ihre Gedanken ständig wechseln und sie in einer eigenen Gedankenwelt leben.
Bei ADS zeigen Kinder vorwiegend Probleme mit der Aufmerksamkeitssteuerung. Kinder mit ADS sind ruhig und scheinbar unauffällig, haben aber in der Schule große Schwierigkeiten, da sie sich leicht ablenken lassen und nur schwer konzentrieren können. Auch hier gilt, andere Ursachen für die Aufmerksamkeitsprobleme auszuschließen, bevor eine Therapie eingeleitet wird.