Adipositas und Psyche – wie hängt das zusammen?
Körper und Seele bilden eine Einheit – ist der Körper krank, schlägt das auch auf die Psyche und umgekehrt. Infolge dieser Wechselwirkungen gibt es körperliche Erkrankungen, deren Beginn beziehungsweise deren Verlauf psychisch beeinflusst werden können. Ebenso führt eine anhaltende seelische Störung zu einer erhöhten Anfälligkeit für körperliche Beschwerden.
So ist das Risiko bei Personen mit Adipositas an einer Depression zu erkranken doppelt so hoch wie bei normalgewichtigen Personen. Studien zeigen, dass auch andere psychische Erkrankungen, wie etwa eine Angststörung oder die Binge-Eating-Störung einen Zusammenhang mit Adipositas aufweisen. Lange Zeit konnte jedoch keine kausale Verbindung zwischen Adipositas und Psyche etabliert werden. Mittlerweile geht die Forschung davon aus, dass Adipositas psychische Störungen befördert.
Im Alltag oft mit Vorurteilen stigmatisiert
Ursächlich sind sowohl biologische Faktoren wie Körperfett als auch psychosoziale Faktoren wie die Stigmatisierung, der adipöse Personen in vielen Lebensbereichen ausgesetzt sind. So werden ihnen oft Attribute wie "willensschwach", "verantwortungslos" und "faul" zugeschrieben.
Zwar ist Adipositas eine chronische Stoffwechselerkrankung, dennoch machen Betroffene die Erfahrung, dass sie nicht ausreichend ernstgenommen werden und häufig Symptome auf ihr Gewicht zurückgeführt werden.Auch in anderen Lebensbereichen, wie etwa beim Essengehen, beim Sport oder auf Arbeit erleben sie Vorurteile aufgrund ihres vergrößerten Körperumfangs. Nicht zuletzt nimmt auch die (Un-)Zufriedenheit mit dem eigenen Körperbild eine entscheidende Rolle ein.
Wechselwirkung Psyche und Körper
Dass zwischen Adipositas und psychischen Erkrankungen ein Wechselspiel besteht, zeigt sich auch in einem weiteren Aspekt. Personen, die Symptome einer depressiven Erkrankung aufweisen, wie beispielsweise Antriebslosigkeit oder Freud- und Interessenverlust, neigen eher zu Übergewicht. Grund ist der Fakt, dass die Symptome zu einem kontinuierlichen Rückgang von körperlicher Aktivität und/oder dem vermehrten Konsum von ungesunden Lebensmitteln führen - was wiederum die Entwicklung einer Adipositas begünstigt.
Versuche abzunehmen erfordern viel Engagement. Erleben betroffene Personen den sogenannten Jojo-Effekt, wird dies als Misserfolg verarbeitet. Wiederholte Misserfolge frustrieren und können Hilflosigkeit auslösen. Sich im Körper nicht wohl zu fühlen, ist ein Nährboden für Selbstzweifel und Angst vor Ablehnung.
Die subjektiv empfundene Hilflosigkeit verstärkt vielmehr noch den Teufelskreis aus Frustessen und Mangelbewegung. Die mit zunehmender Adipositas eingeschränkte Beweglichkeit begünstigt orthopädische Schäden und Schmerzen. Auch Diabetes Typ II kann ausgelöst werden. Dies sind Bedingungen, die seelisches Leid fördern.
Einflussfaktor Stress
Auch ein zu hoher Cortisolspiegel kann sich negativ auf das Gewicht auswirken. Denn wenn der Mensch Stress erlebt, wird das Hormon in größeren Mengen ausgeschüttet. Ein erhöhter Cortisolspiegel kann Heißhunger auf Lebensmittel mit einem hohen Zucker- und Fettgehalt auslösen, die wiederum die Entstehung und Aufrechterhaltung von Übergewicht und Adipositas begünstigen.
Wer häufig unter Stress leidet und solche Ernährungsmuster bei sich erkennt, sollte Stressbewältigungsmaßnahmen erlernen, um aktiv eine Gewichtszunahme zu vermeiden. So können körperliche Aktivität, Ruhepausen, gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf helfen, nicht durch Stress zuzunehmen.
Einflussfaktor Lebensstil
Der Einfluss des Lebensstils auf das Wohlbefinden und somit auf Psyche und Gewicht ist enorm. So stehen drei Aspekte des Lebensstils im Rahmen einer Adipositas im Zentrum: Ernährung, Bewegung und Verhalten.
Wer regelmäßige Bewegung in seinen Alltag einbaut, kann von der positiven Wirkung auf Körper und Geist profitieren. Hinzu kommt, dass schon moderate körperliche Bewegung positive Effekte auf die Gewichtsreduktion hat und eine Depression reduzieren kann.
Einflussfaktor Ernährung
Essen ist für viele Menschen mehr als eine reine Nahrungsaufnahme, denn es erfüllt soziale und psychologische Bedürfnisse. Somit steht Essen in einem engen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. Unter psychischer Belastung, wie Stress oder Trauer kommt es oft zu einem reduzierten oder gesteigerten Appetit. Entspannt sich die belastende Situation, normalisiert sich das Hungergefühl wieder.
Zudem ist das Essverhalten erlernt und hat seine Ursprünge bereits in der Kindheit. Dort werden erste Vorlieben und Abneigungen für oder gegen Lebensmittel erlernt und mit bestimmten Situationen sowie Emotionen verbunden – beispielsweise zum Trost in belastenden oder stressigen Situationen. Emotionales Essen steht in engem Zusammenhang mit depressiven Symptomen, die wiederum positiv mit der Wahrscheinlichkeit einer Adipositas assoziiert werden – ein Teufelskreis.
Was viele nicht wissen: die Ernährung hat direkten Einfluss auf die Psyche – sowohl direkt als auch über das Mikrobiom im Darm. So kann eine ungesunde Ernährung bestimmte Darmbakterien fördern, die wiederum mit erhöhten Stress und Depression assoziiert werden.
Bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung kommt es jedoch oft dazu, dass gesunde Ernährungsweisen vernachlässigt werden und der Weg in eine Adipositas leichtes Spiel hat. Wie genau Ernährung und psychische Erkrankungen zusammenhängen, untersucht die Nutritional Psychiatry (Ernährungsmedizin in der Psychiatrie) – eine noch recht neue Disziplin der Psychiatrie.
Einflussfaktor Medikamente
Bei Personen mit einer Depression geraten oft Essen und Trinken aus dem Gleichgewicht. Während einige weniger zu sich nehmen, ist es bei anderen ein zu viel von ungesunden Lebensmitteln, was sich negativ auf das Gewicht auswirkt. Hinzukommt eine oft beschriebene Psychopharmaka-assoziierte Gewichtszunahme (PZGZ), da Psychopharmaka (Medikamente zur Therapie psychischer Störungen) häufig das Hungergefühl steigern.
Studien konnten sowohl für Antipsychotika als auch für Antidepressiva gewichtssteigende Effekte nachweisen. Allerdings sind diese abhängig vom Präparat und den soziodemografischen (etwa Alter, Geschlecht), genetischen und metabolischen (stoffwechselbedingt) Voraussetzungen der Patientinnen und Patienten.
Neuere Medikamente zeigen häufig weniger unerwünschte Nebenwirkungen, dennoch ist es unerlässlich bei der Wahl des Präparats die Lebensumstände Präferenzen und Vorbelastungen des Patienten miteinzubeziehen.
Strategien zur Stärkung der psychischen Gesundheit
Die psychische Gesundheit ist ein komplexes Konstrukt. Es bedarf täglicher Aufmerksamkeit, um sie bestmöglich zu erhalten und/oder wiederzuerlangen. Ein gutes Stressmanagement, ausreichende körperliche Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind wichtige Pfeiler, um die psychische Gesundheit zu unterstützen und zu stärken.
Besteht der Verdacht auf eine psychische Erkrankung sollten Betroffene zeitnah professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Eine erste Anlaufstelle kann die hausärztliche Praxis sein, welche an eine Praxis für Psychotherapie oder eine psychosomatische Klinik vermitteln kann.
Psychologische Betreuung im Rahmen der Adipositas-Therapie
Die Adipositas-Therapie findet unter Anwendung eines multimodalen Behandlungskonzepts (MMK) statt. Neben Ernährungs- und Bewegungstherapie ist ein dritter Aspekt die psychologische Begleitung. Denn weder die Prävention, noch die Behandlung der Adipositas können ohne Berücksichtigung der psychologischen Aspekte gelingen.
Zwar hat nicht jede Person mit Adipositas auch eine psychische Erkrankung, dennoch ist es wichtig herauszufinden, inwieweit das (übermäßige) Essen eine emotionsregulierende Funktion innehat, etwa bei Stress. Auf diese Weise lassen sich gemeinsam mit den Betroffenen Handlungsalternativen erarbeiten, die einen gesünderen Lebens- und Ernährungsstil dauerhaft unterstützen. Zentral ist hierbei die Einbindung der Patientinnen und Patienten in ihre eigene Behandlung. Einerseits im Sinne des sogenannten „Patient Empowerments“, andererseits, um Adhärenz, also das langfristige Einhalten der gemeinsam erarbeiteten und empfohlenen Therapieziele zu gewährleisten.
Bevor eine operative Maßnahme zur Gewichtsreduktion in Betracht kommt, sind bestimmte Kriterien zu erfüllen. So muss unter anderem festgestellt werden, ob mögliche Kontraindikationen (Gegenanzeige) in Form von schweren unbehandelten Essstörungen anderen psychischen Erkrankungen oder ein Substanzmissbrauch vorliegen. Ergeben sich in diesem Rahmen Kontraindikationen, sollte den Betroffenen im besten Fall ein konkretes Behandlungsangebot oder eine weiterführende Empfehlung gemacht werden. Dazu zählen etwa psychotherapeutische Gruppenangebote, App-basierte Hilfsangebote oder eine ambulante oder stationäre Psychotherapie.
Gewichtsabnahme kann Risiko für psychische Störungen senken
Ein fürsorglicher Lebensstil hat positiven Einfluss auf die Psyche und das Gewicht. Einerseits kann sich der Schlaf, das Energielevel und die Stimmung bessern. Anderseits kann ein Gewichtsverlust chronische Erkrankungen, die zu Depressionen führen verbessern, da bestimmte Medikamente in kleiner Dosis eingenommen werden können oder ganz abgesetzt werden.
Wo finde ich Unterstützung?
Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die einer multiprofessionellen Behandlung bedarf. Betroffene sollten sich daher an zertifizierte Adipositaszentren oder Psychosomatische Institutsambulanzen mit entsprechendem Schwerpunkt wenden.