Alkoholabhängigkeit: Hohe Rückfallquote in der Pandemie
Corona hat die Alkoholgewohnheiten verändert – für Menschen, die zuvor mit viel Mühe und Kraft eine Sucht überwunden haben, waren die Bedingungen der vergangenen Pandemie-Jahre alles andere als optimal. „Ihnen fehlen die gewohnten Strukturen, die halfen, trocken zu bleiben“, betont Dr. David Dietz, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik mit Schwerpunktstationen für Suchtmedizin am Helios Park-Klinikum Leipzig. Der Druck und die Enge des familiären Umfeldes, Unsicherheiten und Zukunftsängste ebnen leicht einen erneuten Weg in die Abhängigkeit.
„Beruhigungsmittel, gleich welcher Art, nehmen die Angst”, erläutert Dr. Dietz. Suchtmittel füllen zudem die Lücke, die sich durch das Wegbrechen der Tagesstruktur während der Corona-Krise aufgetan hat, ergänzt er. Alkohol und Co. stimulieren das Belohnungssystem im Gehirn und vermitteln ein angenehmes sowie positives, letztendlich aber ein falsches Gefühl von Glück.
Risikofaktoren für eine Alkoholabhängigkeit
Die Pandemie allein begünstigt aber nicht, dass Menschen (wieder) süchtig nach Alkohol sind. „Um alkoholabhängig zu werden, bedarf es vieler Faktoren, einschließlich einer angeborenen Neigung für bestimmte Risiken“, erläutert Göran Michaelsen, Chefarzt der Soteria Klinik Leipzig die sich vornehmlich drogenabhängiger und alkoholkranker Menschen annimmt.
Wer also schon eine erblich bedingte Neigung zu Depression, posttraumatischen Belastungsstörungen, Psychosen, Suchterkrankungen oder ähnlichen Risikofaktoren in die Wiege gelegt bekommt, dem fällt es ungleich schwerer, sich etwa gegen die Gefahren einer Alkoholsucht zu wehren. Übermäßiger Alkoholkonsum schwangerer Frauen und andere vor- oder frühgeburtliche Schädigungen des Kindes können weitere Katalysatoren für eine spätere Abhängigkeit sein.
Von der Gelegenheit zur Gewohnheit
Was immer auch die Begierde nach Alkohol begünstigt, der Weg in die Sucht ist ein langer und schleichender Prozess, verdeutlicht Michaelsen: „Den Auftakt bildet der Probierkonsum, dem nach geraumer Zeit der Gelegenheitskonsum folgt.“ Ab dem Gewohnheitskonsum, der das Trinken bereits zum Ritual werden lässt, beginne für die betroffenen Personen eine schwierige Phase. Ab hier, so Michaelsen, nahe ein Punkt, an dem das selbstständige Umkehren zunehmend schwieriger wird. Irgendwann werde das Trinken zur Gewohnheit und damit verbunden auch körperliche und psychosozialen Folgeschäden.
Alkoholabhängigkeit: Eingeständnis ist der erste Schritt
Wer hier einmal gefangen ist, dessen Leben dreht sich im Kreis. „Freunde, die Familie oder Hobbys geraten schnell in den Hintergrund. Die Gedanken bewegen sich einzig um den Alkohol: Ist mein Vorrat groß genug? Wenn nicht, wo bekomme ich neuen her?“, zitiert Michaelsen aus den Berichten Suchtkranker. Ohne das Eingeständnis, suchtkrank zu sein, gebe es allerdings auch keine Heilungschancen. „Erschwerend kommt hinzu, dass Suchtpatientinnen und -patienten die negative Entwicklung, die sie durchleben, erst zu spät wahrnehmen und als solche realisieren“, sagt Göran Michaelsen.
Die Pandemie war und ist für viele nach wie vor ein Katalysator: Geschlossene Kneipen und Restaurants, weniger soziale Kontakte – viele Menschen haben das Trinken in die eigenen vier Wände verlagert. Das Erkennen des eigenen Suchtverhaltens oder gar ein Ausstieg fallen dadurch schwerer. Der Griff zur Flasche beginnt oft schon früh am Tag. Durch Isolation und Homeoffice fehlt bei vielen die soziale Kontrolle – vor der Webcam bleibt die Alkoholfahne ein privates Geheimnis.
Bin ich süchtig? Vier Fragen geben Antwort
Doch ab wann ist man eigentlich alkoholabhängig? Diese Frage beantworten regelmäßig Trinkende gerne oberflächlich. Dabei gibt es vier Kriterien, die schnell und eindeutig Antwort geben:
- Brauche ich morgens schon Alkohol?
- Fühle ich mich schuldig, wenn ich trinke?
- Reagiere ich bei Hinweisen auf zu viel Alkoholkonsum gereizt?
- Habe ich selbst einmal versucht, die Menge zu reduzieren?
„Anhand dieser Prüfsteine lässt sich gut erkennen, wie es um mich steht“, sagt Chefarzt Dr. David Dietz. Er rät jeder Person, die unsicher ist und ihr Trinkverhalten ändern möchte, sich bei Hausärzt:innen oder Suchttherapeut:innen vorzustellen.
Bei fortgeschrittenem Trinkverhalten rät der Suchtexperte dringend von unkontrollierten Entzugsmaßnahmen ab. Hier sollte immer eine ärztliche oder therapeutische Betreuung begleiten.
Lebenslange Rückfallgefahr
Fatal für jeden „Trockenen“ ist, dass die Gefahr eines Rückfalls immer besteht – ein Leben lang. „Manche Menschen glauben, dass sie nach jahrelanger Abstinenz wieder kontrolliert trinken können. Doch das funktioniert nicht“, sagt Suchtexperte Dietz. Vielmehr tritt das Gegenteil ein. Ein Rückfall in die Sucht fällt zumeist stärker aus, verursacht einen tieferen Fall als beim ersten Mal.