Was versteht man unter Alkoholismus?
„Alkoholismus oder besser die Alkoholabhängigkeit ist eine psychische Erkrankung“, sagt Dr. Markus Stuppe, der in den Helios Kliniken Schwerin die Klinik für Abhängigkeitserkrankungen leitet. Die Grenzen sind fließend und die Sucht verfestigt sich schleichend, oft über mehrere Jahre hinweg. Männer und Jüngere sind stärker betroffen.
Alkohol kann eine positive und euphorisierende Wirkung haben und entspannend und angstlösend sein. Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen sind empfänglicher für den missbräuchlichen Konsum: psychische Bedürfnisse können nicht kontrolliert werden, es besteht große Neugier oder eine bestimmte Art, sich nach außen zu verhalten. Andere Persönlichkeitsmerkmale machen eine Alkoholabhängigkeit unwahrscheinlicher: hohes Selbstwertgefühl, gute Stressbewältigung und gute Kommunikationsfähigkeit. Auch der soziale Druck spielt eine Rolle. Gerade Jugendliche übernehmen Trinkmuster der Eltern oder des Freundeskreises.
Wird regelmäßig Alkohol getrunken, muss es immer mehr sein, um die Wirkung zu spüren. In Alkoholpausen zeigen sich körperliche Entzugssymptome. Das können Zittern, Unruhe, Schwitzen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, aber auch Verwirrtheit sein. Das Gehirn verbindet den Alkoholkonsum über Lernprozesse mit bestimmten Situationen. Demzufolge löst schon allein eine bestimmte Situation den Drang aus, zu trinken.
Die Alkoholsucht ist zu circa 40-60 Prozent genetisch bedingt. Ist eine direkt verwandte Person alkoholabhängig, ist es drei- bis viermal wahrscheinlicher, selbst zu erkranken. Hinzu kommen Umweltfaktoren wie psychische Belastungen, zum Beispiel Missbrauch, genauso wie eine schwierige soziale Situation, zum Beispiel Armut oder mangelnde Bildung. Alkoholabhängige haben häufig gleichzeitig mit psychiatrischen Erkrankungen wie Depression, Essstörung, Angststörung und Tabakabhängigkeit zu tun.
Wurde während der Pandemie mehr getrunken oder weniger?
Genau werden wir das erst in Monaten, vielleicht Jahren wissen. Einer aktuellen Studie zufolge scheint der Alkoholkonsum in Deutschland bei vielen Personen zurückgegangen zu sein – jedoch weniger stark als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Ab wann spricht man von einer Alkoholabhängigkeit?
Für die Diagnose Alkoholabhängigkeit gibt es bestimmte Kriterien. Als abhängig gilt, bei wem während eines Jahres drei der sechs Kriterien gleichzeitig vorliegen:
- starker Wunsch oder Zwang Alkohol zu trinken
- verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Beginn, Ende und Menge des Konsums
- körperliches Entzugssyndrom, etwa Schwitzen oder Zittern
- Entwicklung einer Toleranz (Dosiserhöhung)
- fortschreitende Interessenvernachlässigung zugunsten des Alkoholkonsums
- anhaltender Alkoholkonsum trotz nachweisbarer schädlicher Folgen, wie etwa Leberschädigung
Wie erkenne ich, dass ich ein Alkoholproblem habe?
Es ist meist ein fließender Übergang vom risikoarmen über das riskante hin zum schädlichen Trinken. Als risikoarmer Konsum gilt für Frauen Alkohol bis zwölf Gramm und für Männer bis 24 Gramm pro Tag. Man sollte an mindestens zwei Tagen pro Woche auf jeglichen Alkoholkonsum verzichten. Alles darüber hinaus ist bereits ein riskanter Konsum.
Was steckt in einem Glas Alkohol?
Ein 0,33 Liter Glas Bier entspricht etwa 13 Gramm Alkohol, ein 0,2 Liter Glas Wein etwa 16 Gramm Alkohol. "Man sollte aufmerksam werden und sein Trinkverhalten hinterfragen, wenn man täglich Alkohol trinkt und zunehmend die Dosis steigern muss, um den gleichen Effekt zu erzielen. Auch wer allein trinkt oder Alkohol nutzt, um Probleme zu betäuben oder zu vergessen, sollte sich kritisch mit seinem Verhalten auseinandersetzen", sagt der Chefarzt.
Symptome und Anzeichen der Alkoholsucht
Der Konsum von Alkohol hat eine direkte Wirkung auf den Körper und kann auch zu vielfältigen organischen Folgeerkrankungen führen.
Allgemeine Symptome sind:
- reduzierter Allgemeinzustand (Patient macht insgesamt einen nicht normal guten allgemeinen Eindruck)
- Appetitmangel
- Gewichtsverlust
- gerötete Gesichtshaut
- vermehrte Schweißneigung
- Schlafstörung
Die Folgen von Alkoholismus
„Wer regelmäßig zu viel Alkohol trinkt, dem drohen schwere Organschäden und psychische Erkrankungen“, sagt Dr. Markus Stuppe.
organische und körperliche Folgen
- Magenschleimhautentzündung
- Bauchspeicheldrüsenentzündung
- Herzschädigung
- Potenzstörung
- Lebererkrankungen wie Fettleber oder Zirrhose (Schrumpfleber)
- Polyneuropathie (Nervenkrankheit, meist mit Symptomen wie Missempfindungen oder Schmerzen an Füßen und Beinen)
- Wernicke-Korsakow-Syndrom (schwere alkoholbedingte Gedächtnisstörung)
- Krebs (in Leber, Mund, Rachen, Speiseröhre, Magen)
- Verletzungen und Unfälle
psychische Folgen
- schwere Entzugserscheinungen
- Bewusstseinsstörung (Delir)
- Krampfanfälle
- Stimmungsschwankungen
- weitere Suchterkrankungen, zum Beispiel andere Substanzen, illegale Drogen, Tabak, Glücksspiel, Verhaltenssucht
- Persönlichkeitsstörung, zum Beispiel zwanghaft, ängstlich-vermeidend, abhängig, Borderline, antisozial
- Depression
- Angststörung (posttraumatische Belastungsstörung)
- ADHS
- Psychosen
Alkoholismus behandeln: Hilfe suchen
Der "richtige" Zeitpunkt für eine Therapie der Alkoholabhängigkeit ist sehr individuell und unterschiedlich. Betroffene können sich zunächst an ambulante Hilfesysteme wenden. Dazu zählen
- Suchtberatungsstellen,
- die hausärztliche Praxis,
- Suchtschwerpunktpraxen sowie
- Suchtsprechstunden an Kliniken, aber auch
- Selbsthilfegruppen und
- Online-Beratungen können erste Anlaufstellen sein.
"Die Therapie erfolgt gestuft und ist von der Symptomatik der Patienten abhängig", sagt Dr. Markus Stuppe.
Beratung suchen
Betroffene können zunächst Kontakt zu ambulanten Hilfestellen aufnehmen. Dazu können sie sich beispielsweise an eine Beratungsstelle oder die hausärztliche Praxis wenden, um die Alkoholabhängigkeit anzugehen. Für viele Alkoholabhängige ist es zu Beginn der Therapie oft unvorstellbar, für immer auf Alkohol zu verzichten. Ein erster Schritt kann sein, zunächst für eine absehbare Zeit keinen Alkohol mehr zu trinken.
Ambulante Entgiftung oder stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung
Patienten, die ein hohes Risiko für Entzugserscheinungen haben, sollten einen stationären Entzug in einer Klinik machen. Dieser erfolgt unter ärztlicher Aufsicht und kann durch Medikamente unterstützt werden. Wenn keine schweren Entzugssymptome zu erwarten sind, ist auch ein ambulanter Alkoholentzug möglich.
Rehabilitationsbehandlung
Auch nach dem Alkoholentzug finden Betroffene Unterstützung in ambulanten und ganztägig ambulanten Rehabilitationstherapien oder vollstationären spezialisierten Kliniken. Der Betroffene gewöhnt sich nach und nach immer mehr an ein Leben ohne Alkohol und erhält oder erlangt damit auch seine Erwerbsfähigkeit wieder.
Neben der Therapie der psychischen Abhängigkeit kann es auch zur Behandlung von weiteren seelischen oder körperlichen Begleiterkrankungen kommen. Ziel ist es, dass Betroffene neues Selbstbewusstsein gewinnen und die neu erlernten Verhaltens- und Erlebensänderung unterstützend im Alltag wirken.
Nachsorge
Für viele Betroffene kann der Übergang von der ambulanten oder stationären Entwöhnung in den Alltag schwierig sein. Alte Probleme und Ängste können wieder hochkommen und schnell zu einer Überforderung führen. "Gerade in dieser Phase ist es wichtig, dass sich die Betroffenen an Suchtambulanzen, Beratungsstellen oder Fachärzte wenden können.
Auch Selbsthilfegruppen sind eine wichtige Stütze, um trocken zu bleiben", sagt der Schweriner Chefarzt. Die Nachsorge soll der körperlichen, psychischen und sozialen Stabilisierung dienen, um einen möglichen Rückfall zu verhindern. Daher ist es wichtig, das Gelernte anzuwenden und sich vor Augen zu führen, was bis hier hin schon alles erreicht wurde.
Prognose: Kann man trocken bleiben?
Die Alkoholabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die schwerwiegende Folgeschäden auslösen kann. Bleibt sie unbehandelt, ist die Prognose eher schlecht, da Betroffene oft erst spät aktiv werden und eine Behandlung beginnen. Eine Prognose zum Zeitpunkt des Therapiebeginns zu stellen ist schwer. Denn sie ist stark von den individuellen Faktoren abhängig, die jede:r Erkrankte mitbringt.
Diese umfassen bereits vorhandene körperliche und psychische Schäden aber auch die sozialen Lebensumstände. Dr. Stuppe: „Eine Alkoholabstinenz über mindestens ein Jahr nach einer Entwöhnungsbehandlung erreichen 30 bis 50 Prozent der Betroffenen. Aber: Auch ein Rückfall bedeutet nicht, dass alles umsonst war. Wichtig ist dann, sich wieder Hilfe zu suchen und erneut zu versuchen, es aus der Alkoholsucht raus zu schaffen.“