Berührungen gehören zum Leben dazu
Ein fester Händedruck zur Begrüßung, eine tröstende Umarmung zwischen Freunden oder der innige Kuss zweier frisch Verliebter: Berührungen sind fester Bestandteil des Lebens. Meist erfolgen sie nebenher, ohne dass man sich darüber Gedanken macht.
In unserer immer stärker digitalisierten Welt und Sozialen Medien wie etwa Twitter, WhatsApp und Facebook bleibt der Körperkontakt aber oft auf der Strecke. Dabei ist Berührung für das Wohlbefinden entscheidend und für Menschen sogar überlebenswichtig. Ein schreiendes Baby beruhigt sich am besten, wenn seine Mutter es in den Arm nimmt. Unser Schmerzempfinden wird verringert, wenn uns ein nahestehender Mensch die Hand hält.
„Im Normalfall führt Körperkontakt dazu, dass man sich insgesamt dem anderen Menschen näher fühlt. Nähe erzeugt eine positive Atmosphäre und das führt zur Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin und Oxytocin, die das Wohlbefinden fördern“, sagt Dr. Ekkehart D. Englert, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Helios Klinikum Erfurt.
Dopamin ist das sogenannte Glückshormon, Oxytocin wird auch als Bindungshormon bezeichnet. Es bindet Mutter und Kind, aber auch Liebende aneinander.
Berührungen werden unterschiedlich empfunden
Dieser positive Effekt erfolgt meist bei Menschen, die sich nahestehen. Wie jemand eine Berührung empfindet, hängt von seinen individuellen Körperkontakt-Erfahrungen ab: „Wer von Geburt an viel Liebe und Zuneigung erhalten hat, wird in der Regel positiv auf Berührungen reagieren.
Wem Körperkontakt verwehrt wurde oder Berührungen gar in negativer Form – etwa körperlicher Gewalt – erfahren hat, der reagiert unter Umständen sogar mit der Ausschüttung von Stresshormonen, wie Cortisol“, erklärt Dr. Englert.
Auch der Kontext, in dem der Körperkontakt entsteht, spielt eine wichtige Rolle für das Empfinden des Einzelnen. Erfolgt die Berührung zuhause oder in der Öffentlichkeit? Ist die Person mein:e Freund:in, Kolleg:in oder Familienangehöriger?
Wenn etwa zwei gute Freunde sich zum Abschied umarmen, ist das eine vertraute Situation und führt eher zur Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen, als die Berührung eines Fremden. So sind die „free hugs“-Aktionen, bei denen Menschen Fremden auf der Straße kostenlose Umarmungen anbieten, nicht für jeden geeignet: Bei zurückhaltenden, introvertierten Menschen kann eine Umarmung von einem Fremden Stress auslösen. „Bei Körperkontakt ist immer entscheidend, wie die beiden sich Berührenden zueinander stehen“, sagt der Kinderpsychologe.
Berühren hilft Heilen
Körperkontakt unterstützt nicht nur die Entwicklung des Menschen, er hilft auch, gesund zu werden und gesund zu bleiben. „Wenn die Haut berührt wird, reagiert das Immunsystem sehr stark. So werden Botenstoffe, wie etwa Cortisol, die das Immunsystem dämpfen und die Immunreaktion abschwächen, durch Berührung der Haut gemildert.
Die Ausschüttung von das Immunsystem stärkenden Botenstoffen wird sogar deutlich gefördert und darüber auch die Heilung von vielen Krankheiten und Beschwerden. Es gibt sehr wenig, was besser zu Entspannung führt, als eine wohltuende, warme Berührung eines vertrauten Menschen“, sagt Dr. Ekkehart D. Englert.
Er warnt aber: Einseitige körperliche Zuneigung mit der starken Betonung des Konsumierens sollte eher kritisch gesehen werden. Denn Berührungen sind immer interaktiv, ein Wechselspiel zwischen zwei Menschen. Wenn zwischen Erwachsenen einer ausschließlich aktiv oder passiv ist, ist das ein Zeichen, dass in der Beziehung etwas sehr aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Ein einseitiger Körperkontakt ähnelt dann einer Droge, sie wird genommen, um einen positiven Zustand herzustellen, hat aber langfristig negative Auswirkungen.
Berührungen sind überlebenswichtig
Wenn Menschen Berührungen verwehrt werden, kann das die Entwicklung stark beeinträchtigen und sogar zum Tod führen. Bei einem Experiment des Psychologen und Verhaltensforscher Harry Frederick Harlow wurden zwei Gruppen Rhesusaffen-Babys gleichermaßen mit Milch ernährt, wobei die eine Gruppe lediglich ein Drahtgestell als Mutter vorfand, die andere Gruppe hingegen ein Drahtgestell im weichen, Fell ähnlichen Frotteemantel. Obwohl alle Affenbabys gleich ernährt wurden, entwickelte sich die erste Gruppe schlecht und wurde verhaltensauffällig.
„Körperkontakt ist nicht nur die Berührung der Haut, es geht auch um den Geruch, oder Wärme. Wir lernen über ganz viele Kanäle – über das Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, aber eben auch durch taktile Reize. Die Haut ist das Organ, worüber wir am umfassendsten und stärksten mit der Umwelt in Kontakt stehen. Die Hirnreifung von Babys wird durch Berührung angeregt. Ohne Körperkontakt kommen normale Wachstumsprozesse nicht in Gang“, weiß der Chefarzt Dr. Englert.
Bereits im 13. Jahrhundert zeigte sich in einem grausamen Experiment, wie sehr Menschen von Berührungen abhängig sind. Kaiser Friedrich II. befahl Ammen, die Babys nur zu füttern und zu waschen. Sprechen, Umarmungen und Zuneigung waren verboten. Nach der Überlieferung hat keines der Kinder das Experiment überlebt.