Herr Prof. Dr. Dähnert, Ihr berufliches Spezialgebiet ist das menschliche Herz. Wie wichtig ist ein gesundes Herz für das Immunsystem, das gerade bei einer Corona-Erkrankung gefordert ist?
Prof. Dr. Ingo Dähnert: Das ist nicht leicht zu beantworten, weil Kreislauf und Immunsystem zwar zusammenhängen, sich aber nur begrenzt beeinflussen. Nur bei wenigen Patienten besteht aufgrund eines angeborenen Herzfehlers ein eingeschränktes Immunsystem.
Vor allem dann, wenn eine sehr weit fortgeschrittene oder nicht mehr stabile Herzschwäche vorliegt. Eine besondere Gruppe sind transplantierte Patienten. Hier muss das Immunsystem künstlich unterdrückt werden, um ein Abstoßen des transplantierten Organs zu verhindern. Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass Kinder mit einem operierten oder stabilen angeborenen Herzfehler keine Immunschwäche aufweisen.
Brauchen Kinder mit einem angeborenen Herzfehler somit keinen besonderen Schutz?
Prof. Dr. Dähnert: Das wissen wir nicht. Die neuartige Erkrankung durch das Coronavirus ist noch nicht gut genug bekannt und erforscht, um deren Auswirkungen auf seltene Erkrankungen, wozu die angeborenen Herzfehler gehören, genauestens beurteilen zu können.
Was wir bislang vermuten dürfen ist, dass Kinder im Allgemeinen seltener und weniger schwer betroffen zu sein scheinen als ältere Menschen. Mit Stand 30. März 2020 wurde in Deutschland erst bei zwölf Kindern eine behandlungsbedürftige Coronavirus-Infektion nachgewiesen. Zwei davon haben einen angeborenen Herzfehler. Keines dieser Kinder musste aber bisher auf die Intensivstation.
Auf welche Erfahrungen greifen Sie dann bei Ihrer Arbeit zurück?
Prof. Dr. Dähnert: Vornehmlich auf die Erfahrungen mit den Grippe- und anderen Viren. Bei ihnen wissen wir, dass Patienten mit angeborenem Herzfehler oder anderen Vorerkrankungen gefährdeter sind als gesunde Menschen. Von dem Coronavirus wissen wir das aber noch nicht.
Erste Erfahrungen aus China sprechen nicht dafür, dass Kinder mit angeborenem Herzfehler ein besonders hohes Risiko tragen. Aber das ist eine vorläufige Erkenntnis, die sich jeden Tag ändern kann. Hohe Hygienestandards und die Einhaltung der Maßnahmen zur Isolation sind deshalb auch hier überaus wichtig wie für jeden anderen Menschen.
Das Herzzentrum behandelt Patient:innen mit Coronainfektion. Was sagen Sie besorgten Eltern, deren Kinder derzeit im Herzzentrum stationär untergebracht sind?
Prof. Dr. Dähnert: In allen Krankenhäusern sind Bereiche, in denen Patienten mit dem Coronavirus behandelt werden, komplett von den Bereichen getrennt, in denen Patienten mit anderen Erkrankungen liegen. Das gilt in besonderem Maße für die Kinderabteilung des Herzzentrums. Da besteht keinerlei Kontakt oder Verbindung. Überall gelten hohe Hygienestandards. Darüber hinaus gilt im gesamten Haus während der Krise ein Besuchsstopp, nur für die Eltern der Kinder gibt es Ausnahmen.
Schafft Ihre Abteilung Freiräume für die mögliche Aufnahme von Corona-Patient:innen?
Prof. Dr. Dähnert: Wir haben Freiraum geschaffen, den wir aber anderen Abteilungen des Hauses zur Verfügung stellen. Herzkranke Patienten und Kinder oder Erwachsene mit Coronavirus werden durch getrennte Teams in getrennten Räumlichkeiten betreut.
Haben Sie anstehende Operationen verschieben müssen?
Prof. Dr. Dähnert: Wie alle Kliniken führen auch wir verschiebbare Eingriffe und insbesondere solche, bei denen langwierige Krankenhausaufenthalte zu erwarten sind, jetzt nicht durch und verschieben sie auf einen späteren Zeitpunkt. Andererseits ist es wichtig, alle dringlichen Probleme weiter zu behandeln, vor allem Patienten, denen eine Herzschwäche oder eine andere Verschlechterung droht.
Besonders bei Neugeborenen und jungen Säuglingen besteht oft dringender Handlungsbedarf, das muss natürlich weiterlaufen. Um es ganz klar zu sagen: Niemand muss Angst haben, dass sein Kind wegen der Corona-Pandemie nicht behandelt wird.
Wie unterstützen Sie Eltern, die sich dennoch Sorgen um ihre Kinder machen?
Prof. Dr. Dähnert: Wir stehen allen Eltern telefonisch beratend zur Verfügung. Auch unsere ambulante Sprechstunde läuft weiter. Kinder mit Fieber oder Infekten können wir aber nicht ohne eine vorherige Untersuchung auf Corona ins Haus lassen. Eine stationäre Aufnahme wird dann sofort veranlasst, wenn sich aus einem Infekt eine Lungenentzündung entwickelt. In solchen Fällen besteht immer Handlungsbedarf. Wäre Corona die Ursache, würde die Behandlung aber in separaten Bereichen geschehen.
Gibt es schon eine Datenbank mit gewonnenen Erkenntnissen aus Corona?
Prof. Dr. Dähnert: In Deutschland werden alle Daten erfasst, aber die Auswertung wird mehrere Monate dauern. Erst dann lassen sich konkrete Rückschlüsse auf einzelne Patientengruppen ziehen.
Können Sie dennoch etwas zu bestimmten Erkrankungen sagen? Etwa zu Patient:innen mit einem Ventrikelseptumdefekt, also einem Loch in der Herzscheidewand?
Prof. Dr. Dähnert: Hier besteht nach bisherigem Kenntnisstand kein erhöhtes Risiko. Alle empfohlenen Maßnahmen sollten genauso Anwendung finden wie bei allen anderen Menschen, auch die persönlichen Kontakte des Patienten und seiner Familie sind wie bei jedem anderen zu beschränken.
Wie sieht es mit komplexen Herzfehlern aus?
Prof. Dr. Dähnert: Kinder, die zyanotisch sind, also einen verringerten Sauerstoffgehalt im Blut haben, haben geringere Reserven, deshalb besteht ein erhöhtes Risiko, wenn sie eine Lungenentzündung bekommen. Das gilt ebenso für Kinder mit nur einer Herzkammer. Auch hier wäre eine Lungenentzündung gefährlich. Das wissen wir aus unseren Erfahrungen mit Grippeviren und anderen Erregern.
Was wir nicht wissen ist, wie hoch das Risiko dafür ist, dass Kinder bei einer neuartigen Coronavirusinfektion auch eine Lungenentzündung entwickeln. Bisher scheint dieses Risiko für Kinder geringer zu sein als für Erwachsene. Schlussfolgerungen können wir aber in Hinsicht auf die Coronaviren noch lange nicht ziehen.
Wie verhält es sich mit dem bestehenden Risiko bereits operierter Kinder?
Prof. Dr. Dähnert: Das ist nach einer erfolgreichen Korrektur dem eines gesunden, gleichaltrigen Kindes gleichzusetzen und wahrscheinlich geringer als bei Erwachsenen.
Müssen sich Eltern von Kindern mit Herzrhythmusstörungen sorgen?
Prof. Dr. Dähnert: Soweit wir wissen, bestehen da keine besonderen Risiken. Wichtig ist es, die verordneten Medikamente weiter einzunehmen und alle empfohlenen Maßnahmen, sowohl was die Herzrhythmusstörung als auch was Corona betrifft, ernst zu nehmen und zu befolgen.
Was können Sie besorgten EMAH-Patienten, also Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, sagen?
Prof. Dr. Dähnert: Auch hier haben wir bisher nur die Erfahrungen mit der Grippe, die besagen, dass ein erhöhtes Risiko besteht, wenn ein schwerer Verlauf auftritt. Bei der Grippe empfehlen wir deshalb eine Impfung, die wir leider für das Coronavirus noch nicht haben. Wenn der Herzfehler erfolgreich korrigiert wurde und keine Restprobleme mehr vorliegen, unterscheidet sich das Risiko wahrscheinlich nicht von dem anderer gleichaltriger Erwachsener.
Das medizinische Personal des gesamten Klinikums steht derzeit vor großen Herausforderungen. Wie gehen Ihre Mitarbeiter:innen mit dieser Situation um?
Prof. Dr. Dähnert: Jeder von uns achtet explizit auf Hygiene und seine Gesundheit, um keine Erkrankungen, auch keine grippalen Infekte, in oder durch das Haus zu tragen. Alle Ärzte, Schwestern und übrigen Mitarbeiter sind hoch motiviert und fleißig. Ich persönlich finde, dass der Zusammenhalt in meinem Team in dieser Situation der Gefahr sogar noch besser geworden ist.
Die Solidarität untereinander ist spürbar gewachsen, alle reagieren verständnisvoll und flexibel auf die notwendigen Veränderungen und bringen sich nach Kräften ein. Das zu erleben macht Mut und macht dankbar. Das Herzzentrum selbst tut viel für das Personal. Unter anderem gibt es eine von Helios organisierte Ersatzbetreuung für Kinder von Ärzten und Pflegekräften. Das entlastet viele Mitarbeiter enorm.