Circa 25 Prozent der Patient:innen auf einer Normalstation und rund 80 Prozent der Patient:innen auf einer Intensivstation erkranken an einem Delir. Wie lässt sich die Erkrankung erkennen?
Sylvia Lehmann: „Die Störung entwickelt sich innerhalb kurzer Zeit und schwankt in ihrer Ausprägung im Tagesverlauf. Betroffene leiden unter plötzlicher Verwirrung, Teilnahmslosigkeit, Unruhe oder auch unter aggressiven Zuständen. Für Angehörige erscheint die vertraute Person dabei als ein vollkommen anderer Mensch.“
Ein Delir wird immer durch körperliche oder psychische Stressfaktoren wie Schmerzen, Schlafentzug, bestimmte Medikamente, Umgebungswechsel oder unangenehme Reize ausgelöst.
Sylvia Lehmann: „Ja, das ist korrekt. Oft wirken mehrere Faktoren zusammen. Betroffen sind besonders ältere Patienten:innen. Im gesunden Zustand können wir Belastungen besser kompensieren, im Alter gelingt dies aber immer schlechter, vor allem, wenn schwere Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen oder eine zuvor bestehende Demenzerkrankung hinzukommen. Ausnahmesituationen, wie bei einem Krankenhausaufenthalt, eine Operation oder ein plötzlicher Umzug ins Pflegeheim können dann ein Delir auslösen.
Werden deshalb alle Patienten:innen ab 60 Jahren regelmäßig auf ein Delir gescreent?
Sylvia Lehmann: „Ja, denn wird ein Delir rechtzeitig und adäquat behandelt, klingen die Symptome in der Regel rasch wieder ab. Bleibt es hingegen unbehandelt, können kognitive Langzeitschäden auftreten. Auf der Normalstation sollte daher die Nursing Delirium Screening Scale verwendet werden, mit der Pflegefachkräfte und Ärzte das Delir-Risiko der Patient:innen einschätzen. Das Ergebnis wird dann in der Überwachungskurve vermerkt und bei der gemeinsamen Visite besprochen. Ein Fachgruppenbeschluss Delir steht zudem für das Frühjahr 2023 an.“
Lässt sich das Risiko, an einem Delir zu erkranken, verringern?
Sylvia Lehmann: „Ja, durch präventive Maßnahmen. Auch hier spielt vor allem das Pflegepersonal eine wichtige Rolle. Hilfreich ist es, die Patient:innen frühzeitig darüber zu informieren, was sie während des Krankenhausaufenthalts erwartet. So können stressige Situationen vermieden werden. Von pflegerischer Seite versuchen wir daher, Orientierung zu schaffen und Ängste zu nehmen. Dies gelingt uns, indem wir durch wiederkehrende Strukturen oder Rituale im Tagesablauf eine gewisse Normalität vermitteln. Auch die Angehörigen können dazu beitragen, ein Delir zu vermeiden. Durch ihre Anwesenheit helfen sie den Patient:innen, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden und wohlzufühlen. Wir empfehlen auch, sämtliche Hilfsmittel wie Brille, Hörgerät oder Zahnprothesen direkt mit ins Krankenhaus zu bringen. Sie erleichtern die Kommunikation und geben Orientierung.“