Wieso schädigt das Corona-Virus das Gehirn?
Die Wissenschaft drei mögliche Ursachen, wie es infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu Hirnschäden kommen kann:
- Direkte Infektion, etwa von Gehirnzellen
- Indirekt, durch die Auslösung von aggressiven Entzündungsprozessen beziehungsweise einer Immunreaktion, deren eigentliches Ziel die Ausschaltung des Krankheitserregers ist
- Durch andere Begleiteffekte, wie etwa Veränderungen im Gerinnungssystem des Körpers
SARS-CoV-2 gehört nach jetzigem Wissensstand nicht zu den Viren, die bevorzugt Nervenzellen befallen, im Gegensatz etwa zum Herpesvirus. Daher scheinen indirekte Effekte ein wichtiger Faktor zu sein, wenngleich wohl alle genannten Mechanismen eine Rolle spielen.
Was die Ursachenforschung aber so schwierig macht, erklärt Prof. Dr. Andreas Steinbrecher, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Helios Klinikum Erfurt: „Die Krux bei der Beurteilung der Erkrankungen ist die Falldefinition. Häufig ist nicht klar, ob die beobachtete neurologische Erkrankung wirklich durch die Covid-19 Erkrankung verursacht oder zufällig gleichzeitig aufgetreten ist". So komme es beispielsweise im Rahmen der intensivmedizinischen Behandlung vieler Erkrankungen zu typischen neurologischen Komplikationen, die eigentlich nicht der Infektion selbst zugerechnet werden sollten.
Wie wirkt sich das Virus auf das zentrale Nervensystem aus?
„Wir vermuten, dass das Virus ausgehend von den Schleimhäuten der oberen Atemwege den Riechnerven befällt und von dort aus das Gehirn erreicht. Auch infizierte Blutzellen könnten das Virus, ähnlich wie ein trojanisches Pferd, ins Nervensystem tragen", sagt der Neurologe. Betroffen sein können alle Bereiche des Nervensystems, also Gehirn, Rückenmark sowie die peripheren Nerven.
Eine neuere Studie aus Oxford gibt konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Gehirn durch eine Covid-19-Erkrankung. Die Forscher:innen konnten anhand von Hirnscans Veränderungen im Gehirn messen. Sie entdeckten, dass Corona nicht nur das Hirn schädigt, sondern auch schrumpfen lässt.
Prof. Steinbrecher erklärt dazu: „Interessant ist, dass diese Veränderungen vor allem die sogenannten limbischen Hirnregionen betreffen. Dies könnte mit den häufig bei COVID-19 beobachteten Riechstörungen zusammenhängen. Eine Erklärung könnte sowohl die besondere Vulnerabilität dieser Hirnregionen für die Erkrankung sein als auch Folge der verminderten olfaktorischen Sinnesreize sein.“
Ob diese Veränderungen rückbildungsfähig sind, ist ebenfalls noch nicht klar, so der Neurologe.
Welche Schäden ruft das Corona-Virus hervor?
Je nach Verlauf zeigt das Corona-Virus unterschiedliche Symptome und neurologische Besonderheiten. Dazu zählen:
Zu den häufigen neurologischen Symptomen von Corona-Patienten zählen: Riechstörungen, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, in schweren Fällen auch schwere Muskelentzündungen. Gerade die Riechstörung gilt als eines der spezifischen Symptome der Covid-19 Erkrankung.
Bewusstseinsstörungen und Delir: Diese werden sehr häufig beobachtet. Allerdings werden sie eher auf die allgemeinen Folgen der systemischen schweren Infektion auf das Gehirn zurückgeführt.
Erhöhtes Schlaganfallrisiko: „Generell scheint es ein erhöhtes Schlaganfallrisiko zu geben", so derMediziner und verweist auf eine Studie aus New York, die zu dem Ergebnis kam, dass das Risiko für einen Hirninfarkt bei Covid-19 Infektionen um den Faktor 4 erhöht war.
Schlaganfälle zeigen sich unter anderem mit den typischen halbseitigen Lähmungen sowie Sensibilitäts- und Sehstörungen. Um Langzeitschäden zu vermeiden oder zu verringern, sollten sie konsequent diagnostiziert und behandelt werden.
Entzündungen Gehirn und Rückenmark: Im Rahmen der Covid-19-Erkrankung kann es auch zu Entzündungen des Gehirns und selten auch des Rückenmarks kommen. Dies ist bereits von anderen Virusinfektionen bekannt. „Seltener scheinen die Entzündungen direkt durch das Virus, sondern durch eine die Infektion begleitende oder auf sie folgende Reaktion des Immunsystems, bedingt zu sein", sagt Prof. Steinbrecher.
Weitere mögliche Auffälligkeiten: Ähnlich immunvermittelte Erkrankungen treten auch an den peripheren Nerven in Form des sogenannten Guillain-Barré-Syndroms (GBS) auf. Bei dieser Form der Polyneuropathie kommt es zu einer Muskelschwäche, die sich innerhalb weniger Tage bis Wochen verstärkt und sich dann meistens langsam bessert.
Im Zuge der Erkrankung kann es bei Corona-Infizierten zudem zu epileptischen Anfällen kommen.
Hirnschäden bei leichten und schweren Verläufen möglich
Riechstörungen und Kopfschmerzen wurden häufig bei milden Verläufen der Corona-Erkrankung beschrieben. Riechstörungen traten sogar bei weit über 70 Prozent der Betroffenen auf. Sie wird vor allem von jüngeren Erkrankten und Frauen beschrieben.
"Schlaganfälle können in jeder Phase auftreten und waren bei einigen Patienten auch der Grund für die Krankenhausaufnahme", so Prof. Steinbrecher. Wichtig ist, dass der Schlaganfall in jedem Fall effektiv behandelt wird, um Langzeitfolgen zu verringern.
Bei schweren Krankheitsverläufen treten Bewusstseinsstörungen und Delire gehäuft auf. Zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme sind sie bereits ein Indikator für eine schlechtere Prognose. Insgesamt treten neurologische Symptome, inklusive der Schlaganfälle bei schweren Verläufen häufiger auf.
Nicht immer langfristige Schäden
Viele der neurologischen Symptome klingen wieder ab. „Studien berichten, dass ein kleinerer Teil der Betroffenen über anhaltende Riechstörungen, Muskelschmerzen oder Schwächeklagen. Laut einer Metaanalyse kommt es bei circa fünf Prozent der Erkrankten zu anhaltenden Geruchsstörungen. Davon Betroffene sollten frühzeitig identifiziert und einem Riechtraining unterzogen werden.
Folgen eines Schlaganfalls können hingegen lebenslang spürbar sein und bleiben. Selbiges gilt für die entzündlichen Komplikationen. Auch hier sei zu befürchten, dass ein Teil der Betroffenen länger anhaltende oder bleibende Schäden behalten könnte.
Häufigste neurologische Symptome drei Monate nach der akuten Erkrankung scheinen eine abnorme Müdigkeit, eine als „Brain Fog“ bezeichnete Symptomkonstellation mit unter anderem Konzentrations-, Wortfindungsstörungen, mentaler Erschöpfung sowie Vergesslichkeit und Schlafprobleme zu sein.
Andere Betroffene scheinen während der akuten Covid-Infektion eine Erkrankung der peripheren Nerven vom Typ der small-fiber Neuropathie zu entwickeln, deren Symptome ebenfalls nach Abklingen der akuten Infektion anhalten können.
Andererseits scheint die COVID-19 Erkrankung nicht häufiger als andere, vergleichbar schwere Erkrankungen, zu neurologischen und psychiatrischen Problemen zu führen. Aufgrund der großen Zahl der Betroffenen allerdings werden diese Symptome wahrscheinlich auf absehbare Zeit im medizinischen Alltag gehäuft zu beobachten sein.
Fazit: Viele Fragen bleiben derzeit noch offen und Hintergründe unklar. „Es wird noch Jahre dauern, bis wir die Frage nach körperlichen und psychischen Langzeitfolgen präzise beantworten können“, sagt Mediziner Andreas Steinbrecher.