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Kinderherztransplantation: Zweite Chance für 13-jährige Zwillinge

Die vergangenen zwölf Monate gehören zu den turbulentesten in der Familie von Mareen und Roy Schimmel. Das Ehepaar aus Calbe (Saale) musste in dieser Zeit erleben, wie ihre Söhne Kilian und Jamie unerwartet herzkrank wurden. Rettung versprach erst eine Herztransplantation, der sich die Zwillingsbrüder im Herzzentrum Leipzig unterzogen. 

25. April 2021
Operation

Genetisch bedingte Herzschwäche

Es waren quälend lange Stunden. Jeder Blick zur Uhr ließ Mareen und Roy Schimmel glauben, die Zeit steht still. An Schlaf war für sie in dieser Nacht nicht zu denken. Das Wissen daran, dass ihr Sohn Kilian in diesem Moment ein Spenderherz transplantiert bekam, währenddessen Zwillingsbruder Jamie auf der Intensivstation um sein Leben kämpfte, kann grausamer nicht sein.

Ein solches Szenario war für das Paar Monate zuvor undenkbar. Obwohl ihnen spätestens seit Ende 2019 bekannt war, dass nicht nur Kilian, sondern auch Jamie unter einer genetisch bedingten Herzinsuffizienz litt. Kilian, der etwas größere und kräftigere der 13-jährigen Jungs, verspürte 2017 nach dem Fußballtraining erstmalig Herzschmerzen.

Die Eltern vermuteten ursächlich eine verschleppte Erkältung, stellten ihn aber dennoch einem Arzt vor. Der wiederum überwies seinen Patienten zur genauerer Diagnose ans Herzzentrum Leipzig. „Bei ihrer Untersuchung stellten die Ärzte der Kinderkardiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Ingo Dähnert bei Kilian eine genetisch bedingte Herzschwäche fest. Da wir ihn im Herzzentrum aber in guten Händen wussten, nahmen wir diese Diagnose noch ruhig hin“, sagt Mareen Schimmel.

Dramatischer Verlauf

Im Gegensatz zu seinem Bruder sei der jüngere Jamie schon immer zierlich gewesen, fügt die Mutter an. Vorsorglich ließen die Eltern den Jungen deshalb von einer Kinderärztin tiefgründig untersuchen. Mit dem Ergebnis, dass ein erstelltes Blutbild wie schon bei Kilian Hinweise auf eine genetisch bedingte Herzinsuffizienz gab.

Ab jetzt nahm das Martyrium der Familie seinen Lauf. Im Mai 2020 alarmierten die Eltern erstmalig den Notarzt, nachdem Jamie Vorboten eines Schlaganfalls aufwies. „Von Magdeburg aus wurde Jamie wie zuvor schon Kilian ins Herzzentrum Leipzig verlegt, wo man ihm einen Herzschrittmacher mit integriertem Defibrillator implantierte“, berichtet Roy Schimmel. Die Ärzt:innen mussten diesen Eingriff nur wenig später auch bei Kilian vornehmen.

Die vermeintliche Ruhe, die für den Augenblick einsetzte und auf die alle vier hofften, war jedoch trügerisch. Immer weniger waren die Kinder belastbar. Selten schafften sie es, wenige hundert Meter ohne Pause zu gehen. Folgerichtig entschied man daher im Herzzentrum, beide Jungs auf die Hochdringlichkeitsliste für ein Spenderherz zu setzen. Hilfe und Unterstützung erhielten die Schimmels in dieser Zeit von der eigenen Familie, aber auch durch Roy Schimmels Arbeitgeber, der symbolisch zur Thematik ein großes Herz 

Gebotene Eile

Der erlösende Anruf ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Bereits am 21. Februar, während Roy Schimmel Jamie, der inzwischen dauerhaft stationär untergebracht war, in Leipzig besuchte, klingelte am Nachmittag bei Mareen Schimmel in Calbe das Telefon. „Das Herzzentrum teilte uns mit, dass für Kilian ein Organ bereitsteht. Was mir in diesem Augenblick durch den Kopf ging, kann ich nicht mehr realisieren”, blickt sie zurück. Kurze Zeit später stand bereits ein Rettungswagen vor der Tür des Hauses, den das Herzzentrum organisiert hatte.

In Leipzig angekommen, griffen routiniert eingespielte Abläufe. Kilian wurde für die Operation vorbereitet und gegen Mitternacht in die Narkose gelegt. Der lebensrettenden Aufgabe nahmen sich Prof. Dr. Diyar Saeed, Leitender Oberarzt und Bereichsleiter für Herztransplantation und Kunstherzprogramm sowie Dr. Marcel Vollroth, Oberarzt der Kinderherzchirurgie im Herzzentrum Leipzig an.

Ihnen zur Seite stand ein erfahrenes Team von Anästhesist:innen und Pflegekräften. Von den 339 Herztransplantationen, die 2020 in Deutschland durchgeführt wurden, entfielen 41 auf das Herzzentrum Leipzig. „Allerdings waren dies ausschließlich Erwachsene. Einem Kind ein neues Herz einzupflanzen, wurde bei uns im Haus letztmalig 2010 vorgenommen“, sagt Dr. Vollroth.

Hoffnungsfrohe Sätze

Gegen halb fünf Uhr morgens erhielten Mareen und Roy Schimmel den erlösenden Anruf. „Professor Saeed sagte uns, dass der Eingriff ohne Komplikationen verlief und es Kilian den Umständen entsprechend gut geht“, erzählt Mareen Schimmel.

Doch diese Freude wurde durch den Zustand, in dem Jamie sich zeitgleich befand, arg getrübt. Der Junge baute zusehends ab, verlor drastisch an Kraft und fiel in einen lebensbedrohlichen Zustand. Dass Kilian und nicht er das Herz bekam, lag schlichtweg an der Größe des Spenderorgans. „Für Jamie war es schon zu groß“, verdeutlicht Dr. Vollroth.

Die Eltern selbst hatten frühzeitig ausgeschlossen, eine Entscheidung hinsichtlich der Reihenfolge zu treffen. „Für uns standen die Jungs diesbezüglich nie in Konkurrenz zueinander“, betont Roy Schimmel. Um Jamie am Leben zu halten, entschloss man sich am Herzzentrum, ihm bis zur möglichen Transplantation ein Kunstherz zu geben. Ein Gedankengang, der sich jedoch schnell erübrigte. Völlig überraschend meldete Eurotransplant bereits drei Tage später, dass auch Jamie sein neues Herz erhält.

Zwillinge waren Auftaktsignal

Für das gesamte Operationsteam hieß das „zurückspulen und alles auf Anfang“, umschreibt Dr. Marcel Vollroth die Situation. Dieselben Ärzt:innen, dasselbe  Team, professioneller Ablauf. Auch für Jamie begann der Sprung in ein neues Leben um Mitternacht und endete knapp fünf Stunden später. Nach acht Wochen Klinikaufenthalt ist die Familie endlich wieder vereint. An die neuen Lebensrichtlinien für Transplantierte und einen Berg Tabletten haben sich die Jungs inzwischen gewöhnt. Freunde und Verwandte treffen sie aber noch nicht. Zu groß ist das Risiko einer Infektion.

„Kinder haben ein stärkeres Immunsystem als Erwachsene. Umso mehr gilt es Vorsicht walten zu lassen“, mahnt Kinderherzchirurg Vollroth. Fahrradfahren im eigenen Garten wie Kilian oder auf der Gitarre üben wie Jamie geht aber schon recht gut.

Im Herzzentrum Leipzig ist man froh und stolz auf das Erreichte. Zugleich ist die erfolgreiche Transplantation der Zwillinge ein Auftaktsignal. „Wir werden künftig wieder verstärkt Herztransplantationen bei Kindern ab einem Alter von etwa sechs Jahren vornehmen“, verdeutlicht Dr. Vollroth, der sich dabei weiterhin der Unterstützung von Prof. Saeed sicher sein kann.

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