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Magersucht bei Kindern und Jugendlichen steigt rasant – was Eltern jetzt wissen müssen

Die Corona-Pandemie treibt nicht nur die Belegung auf den Intensivstationen nach oben. Auch die Überweisungen in Kinder- und Jugendpsychiatrien sind so hoch wie nie. Besonders stark steigen die Erkrankungszahlen bei den Essstörungen, allen voran der Magersucht. Warum das so ist und auf welche Alarmsignale Eltern achten sollten, erfahren Sie hier.

Ursachen der Magersucht 

Die Gründe für das immer häufigere Auftreten der Magersucht sind zwar vielfältig – stehen aber oft in Verbindung mit der Corona-Pandemie. Im Lockdown und während der Schulschließungen fehlte den Kindern ihre gewohnte und haltgebende Tages- und Wochenstruktur. Zum Wegfall des üblichen Tagesablaufs kommt das Fehlen der sozialen Kontakte.

Zudem müssen sich die Kinder an einen neuen Alltag gewöhnen: Viele sind durch Homeschooling und Homeoffice entweder ganztägig mit den Eltern zu Hause – oder den kompletten Tag allein, bis diese abends von der Arbeit kommen. In der Pandemie haben die Kinder und Jugendlichen dann auch mehr Zeit in den Sozialen Medien wie Instagram oder Snapchat verbracht. Die Bilder, die sie dort sehen, halten sie für die Realität und denken nicht daran, dass häufig Filter eingesetzt werden.

Der Beginn der Magersucht fällt oft zusammen mit der Pubertät – einer Zeit, in der die Kinder eigenständiger werden und ihre Persönlichkeit weiterentwickeln. Hunger auszuhalten, wird als „cool“ empfunden. Und die verlorenen Kilogramm auf der Waage zeigen den Heranwachsenden, dass sie Kontrolle über sich selbst haben. Der fehlende soziale Kontakt begünstigt die Entwicklung der Magersucht, weil ein wichtiges Korrektiv nicht mehr vorhanden ist.

Umgekehrt hat die Rückkehr ins vermeintlich normale Leben nach den Sommerferien aber auch Einfluss: Die Kinder hatten nach der Sommerpause einen immensen Nachholbedarf. Im Grunde fehlen ihnen anderthalb Jahre soziale und schulische Entwicklung. Die sozialen und schulischen Fähigkeiten jetzt wieder aufzuholen, erzeugt Stress für sie.  

 

Erkrankungen immer früher und schwerer

Davon betroffen sind auch immer jüngere Kinder. Inzwischen behandeln wir viele 13- und 14-Jährige, die mit zum Teil sehr schweren Ausprägungen der Magersucht zu uns überwiesen werden. Medizinisch gesehen gilt eine Magersucht als schwer, wenn die Erkrankten einen Body-Mass-Index (BMI) haben, der unter der 3er-Perzentile liegt.

Übersetzt heißt das: Sie sind leichter, als 97 Prozent aller anderen Kinder und Jugendlichen. Es kommen verstärkt sehr, sehr kranke Mädchen zu uns, deren BMI unter der 1er- oder sogar 0,5er-Perzentile liegt. In der Regel sind sie so abgemagert und entkräftet, dass sie kaum zehn Meter gehen oder nur noch im Bett liegen können.

Alarmsignale einer Essstörung für Eltern

Doch wie können Eltern die Gefahr einer Magersucht rechtzeitig erkennen? Grundsätzlich gilt: Eine Essstörung hat viele Gesichter. Trägt das Kind nur noch weite Kleidung, unter denen sich die Figur gut verstecken lässt und bekommen die Eltern es nicht mehr in Unterwäsche im Badezimmer zu Gesicht, kann das bereits ein erster Hinweis sein. Nicht selten nehmen Betroffene anfangs sehr rasant ab, zwei bis drei Kilogramm pro Woche sind keine Ausnahme. Riecht es im Bad immer wieder sauer, deutet das darauf hin, dass das Kind sich erbricht.

Häufig können Eltern auch eine Wesensveränderung feststellen, beispielsweise einen sozialen Rückzug. Die Kinder und Jugendlichen brechen dann sogar den Kontakt zur besten Freundin oder zum besten Freund ab. Oft geraten sie auch in eine depressive Phase oder reagieren zunehmend emotionslos. Und auch das Essverhalten verändert sich: Magersüchtige essen immer kleinere Portionen, fette Sachen bleiben auf dem Teller, es werden sprichwörtlich nur noch die Erbsen aus dem Essen gelesen. Viele fangen auch an, Kalorien zu zählen oder sich extrem intensiv mit dem Essen zu beschäftigen und Verpackungen regelrecht zu scannen. Gemeinsame Mahlzeiten werden vermieden, dann heißt es oft: Ich habe schon in der Schule oder woanders gegessen.

Der beste Weg, eine Magersucht bereits in den Anfängen zu erkennen oder sie sogar zu verhindern, ist, dass Eltern immer im Gespräch mit ihren Kindern bleiben. Bemerkt man erste Hinweise einer Essstörung, kann man ganz offen mit seinem Kind darüber sprechen, dass man sich Sorgen macht. Gleiches gilt für den Medienkonsum. Verbote hingegen sind schwierig, weil sie eine Konfliktspirale erzeugen können. Niemals den engen Kontakt zum Kind zu verlieren, ist hingegen eine der wichtigsten Handhaben.   

Magersucht-Therapie muss gewollt sein 

Die Behandlung eine Magersucht ist anfangs vor allem eines: Viel Überzeugungsarbeit. Die meisten unterschätzen, dass es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt. In der Klinik muss zunächst der Ernst der Lage vermittelt werden, um die Patientinnen für die Therapie zu gewinnen. Ist die Magersucht weit fortgeschritten, muss zuerst der Körper gesunden. Dafür werden schrittweise die Kalorien erhöht, 200 bis 300 Gramm Gewichtszunahme pro Woche sind das Ziel. Mehr würde der meist sehr geschwächte Körper nicht verkraften. Auch diese scheinbar geringe Gewichtszunahme müssen wir oft mit unseren Patientinnen verhandeln. Sie zum Mitmachen zu bewegen, ist aber der wichtigste Therapieschritt.

Haben die Mädchen ihr Gewicht deutlich erhöht, sollen sie lernen, ihren Körper wieder zu akzeptieren. Helfen können dabei Sport- und Bewegungstherapie, Ergotherapie, Kunsttherapie oder Verhaltens- und Gesprächstherapie. Diese Angebote nehmen die Kinder und Jugendlichen in der Gruppe oder auch einzeln wahr. Je stabiler ihr Körpergewicht, desto mehr können wir sie in das Therapieprogramm einbinden und desto strukturierter ist ihre Woche. Das ist extrem wichtig für sie.

Rückkehr in den Alltag ohne Schuldzuweisungen

Und wie geht es nach dem Klinikaufenthalt weiter? Wenn die Kinder und Jugendlichen in ihre gewohnte Umgebung und ihre alte Schule zurückkehren, ist vor allem eines wichtig: Dass dies ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen passiert. Gerade die gemeinsamen Mahlzeiten sind in den Familien über eine lange Zeit sehr belastet gewesen. Da müssen sich nun alle langsam wieder herantasten. Hilfestellung erhalten die Familien durch einen Arzt oder Psychologen der Institutsambulanz oder auch den niedergelassenen Psychologen oder Psychiater, die die Rückkehr in den Alltag begleiten.

Wartezeiten zur Therapie überbrücken 

Wichtig ist am Anfang, dass beim Haus- oder Kinderarzt eine organische Ursache für den Gewichtsverlust ausgeschlossen wird. Ist das geschehen, sollten die Eltern das Gewicht des Kindes einmal wöchentlich kontrollieren, um einen starken Gewichtsverlust frühzeitig zu erkennen. „Zudem können anfangs auch Ernährungsberatungsstellen hilfreich sein, wenn zeitnah kein Therapieplatz zur Verfügung steht.

Zentral ist außerdem, dem Kind keine Schuld an der Situation zu geben. Vielmehr sollten die Eltern es liebevoll begleiten, die eigenen Sorgen über das Essverhalten mit ihm teilen und wenn möglich gemeinsam mit dem Kind essen. Verliert das Kind trotzdem rapide an Gewicht, gilt: Die Eltern sollten den Gang zum Kinderarzt oder in die Klinik nicht scheuen. Denn am Ende bleibt Magersucht eine lebensbedrohliche Krankheit.

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