Mehrlingsschwangerschaften sind Risikoschwangerschaften
Wenn in der Gebärmutter zwei oder mehr Kinder heranwachsen, spricht man von einer Mehrlingsschwangerschaft. Die häufigste Form einer solchen Schwangerschaft ist die Zwillingsschwangerschaft. Da Schwangerschaften mit mehreren Kindern als Risikoschwangerschaften bewertet werden, sollten sich werdende Eltern in dieser besonderen Zeit intensiv beraten lassen und einige Besonderheiten beachten.
Dr. Annette Isbruch ist im Helios Klinikum Berlin-Buch als Leitende Oberärztin tätig. Sie unterstützt junge Familien als Expertin in den Bereichen der speziellen Geburtshilfe und Perinatalmedizin, der Ultraschallfeindiagnostik, der Intensivschwangerenberatung und der DEGUM II (weiterführende sonographische Diagnostik; DEGUM= Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin).
Im Gespräch mit der Expertin
Entstehen und Besonderheiten von Mehrlingsschwangerschaften
Wir haben Dr. Isbruch einige grundlegende Fragen rund um Mehrlingsschwangerschaften gestellt. Lesen Sie hier ihre Antworten.
Frau Dr. Isbruch, wie entstehen Mehrlingsschwangerschaften?
Dr. Annette Isbruch: Bei einer Zwillings- oder Mehrlingsschwangerschaft werden mehrere Eizellen gleichzeitig befruchtet oder eine bereits befruchtete Eizelle teilt sich in einem bestimmten Stadium der Schwangerschaft noch einmal.
Sind Mehrlingsschwangerschaften erblich bedingt?
Dr. Isbruch: Es gibt eine familiäre Häufung.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Zwillinge zu bekommen?
Dr. Isbruch: Stammbaumanalysen haben ergeben, dass Frauen, die selber einen zweieiigen Zwilling haben, häufiger als andere Frauen Zwillinge gebären. Die Häufigkeit von Mehrlingsschwangerschaften nimmt jedoch auch aufgrund eines weiteren Faktors zu: der künstlichen Befruchtung. Bei dieser Methode werden mithilfe einer in-vitro-Fertilisation mehrere Eizellen im Reagenzglas befruchtet. Anschließend werden zwei der entstandenen Embryonen in die Gebärmutter übertragen, um die Chancen für die Einnistung eines Embryos zu erhöhen. Immer häufiger nisten sich dabei allerdings beide Embryonen ein, sodass die werdende Mutter folglich schwanger mit Zwillingen ist.
Wie unterscheiden sich Mehrlingsschwangerschaft und normale Schwangerschaft?
Dr. Isbruch: Es gibt prinzipiell andere Risiken bei einer Mehrlingsschwangerschaft. Alle Mehrlinge haben ein gewisses Frühgeburtsrisiko durch die körperliche Belastung. Aber auch andere Schwangerschaftsrisiken sind häufiger, zum Beispiel die Schwangerschaftsvergiftung, deshalb muss die Schwangerschaft in jedem Fall intensiver überwacht werden. Zudem erleben die Schwangeren meist eine erhöhte körperliche Belastung.
Wie unterscheiden sich eineiige und zweieiige Zwillinge im Mutterleib?
Dr. Isbruch: Eineiige Zwillinge weisen höhere und andere Risiken auf als zweieiige Zwillinge. Da sie sich in den meisten Fällen einen Mutterkuchen teilen, gibt es bestimmte Risiken, die nur die eineiigen Zwillinge betreffen. Diese werden von Gynäkologen abgeklärt und engmaschig beobachtet sowie überprüft.
Der Unterschied: eineiig und zweieiig
Wenn eine Frau mit zwei Kindern gleichzeitig schwanger ist, erwartet sie Zwillinge. Diese werden als eineiig und zweieiig unterschieden. Eineiige Zwillinge weisen dasselbe Erbgut in ihren Zellen auf und sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Zweieiige Zwillinge entstehen hingegen aus zwei Eizellen, die aus einem Follikel entspringen, aber von jeweils unterschiedlichen Spermien befruchtet werden.
Besonderheiten und Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft
Das sollten werdende Mütter wissen:
Was sind die Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft in den jeweiligen Trimestern?
Dr. Annette Isbruch: In der frühen Schwangerschaft gibt es keine anderen Risiken als bei Einlingen auch. Und im zweiten und dritten Trimester besteht vor allem das Risiko der Frühgeburtlichkeit. Da drückt von oben schließlich doppelt so viel. Das Risiko steigt auch mit der Zahl der Mehrlinge. Je höhergradig die Mehrlinge sind, desto höher ist das Risiko für eine Frühgeburt.
Welche Gefahren gibt es für die Schwangere? Welche für das Kind?
Dr. Isbruch: Für die Kinder besteht das Risiko der Frühgeburtlichkeit und der Unreife. Da sich eineiige Zwillinge eine Plazenta teilen, kann es zu speziellen durchblutungsabhängigen Komplikationen – wie ein Wachstumsrückstand eines Kindes und das Fetofetale Transfusionssyndrom kommen, die unter Umständen eine Behandlung erfordern. Für die Mutter ist die körperliche Beanspruchung enorm (die mechanische Belastung) und dann besteht bei ihr auch das Risiko der Schwangerschaftsvergiftung, die bei einer Mehrlingsschwangerschaft häufiger vorkommen kann.
Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS)
Ein Fetofetales Transfusionssyndrom (FFTS) ist ein Krankheitsbild, das etwa 15 Prozent der eineiigen Zwillingspaare betrifft. Die beiden Feten teilen sich über den gemeinsamen Mutterkuchen Gefäßverbindungen. Ist der Blutfluss in diesen Gefäßverbindungen allerdings ungleichmäßig, erhält ein Fetus zu viel Blut, während der andere Fetus mit zu wenig Blut versorgt wird. Folglich können beide Kinder Schäden wie Wachstumsstörungen oder gestörte Herzfunktionen davontragen. Mittels spezieller Behandlungsmethoden kann das FFTS allerdings auch erfolgreich behandelt und beide Feten geschützt werden.
Ist eine spontane Mehrlingsgeburt bei Zwillingen oder Drillingen möglich?
Dr. Isbruch: Bei Zwillingen ja, bei Drillingen kann man diese Möglichkeit im klinischen Alltag ausschließen.
Welche Risiken birgt ein Kaiserschnitt?
Dr. Isbruch: Ein grundsätzliches Risiko ist, dass der Kaiserschnitt zu einer schlechteren Anpassung der Kinder führt, die als geplante Operation vorher nicht wissen, dass sie geboren werden. Und es gibt bestimmte operationsspezifische Risiken, etwa Blasenverletzung, höherer Blutverlust oder die starke körperliche Beeinträchtigung der Mutter durch die Operation.
Wie kann man am besten zwei oder drei Kinder stillen?
Dr. Isbruch: Man kann beide Kinder gleichzeitig stillen – dies erfordert möglicherweise eine etwas intensivere Vorbereitung, eine bequeme Position und vor allem viel Ruhe. Die frischgebackene Mutter kann aber auch einfach beide Kinder hintereinander stillen und sich so intensiv auf jedes ihrer Kinder einstellen. Bei drei Kindern ist es illusorisch, die Neugeborenen alleine zu stillen. Hier sollte die Mutter Hilfe in Anspruch nehmen, um den Bedürfnissen ihrer Kinder voll und ganz gerecht zu werden.
3 Tipps für werdende Mehrfach-Mütter
Nicht nur die Schwangerschaft, auch der Alltag mit Zwillingen, Drillingen oder Vierlingen kann eine echte Herausforderung sein. Unsere Expertin Dr. Isbruch rät Mehrlingseltern, die Ruhe zu bewahren und sich genügend Zeit zu geben, um den Alltag gemeinsam mit dem Nachwuchs neu zu strukturieren. Dies gelingt vor und nach der Geburt mit einigen praktischen Tipps:
Tipp 1: Selfcare während der Schwangerschaft
Schwangere, die Mehrlinge erwarten, sollten sich bewusstmachen, dass sie während ihrer Schwangerschaft noch mehr Gewicht tragen und deshalb ganz genau auf die Signale ihres Körpers hören. Unsere Expertin empfiehlt: viel trinken, ausgewogen sowie gesund ernähren und ausreichend ruhen. Dies gilt natürlich ebenso für werdende Mütter von einzelnen Babys – schließlich steht das Wohl von Mutter und Kind an oberster Stelle.
Tipp 2: Mehrfaches Glück – einfache Erstausstattung
Wenn junge Eltern mehr als ein Kind erwarten, ist die richtige Vorbereitung für den Alltag mit dem frischgeborenen Nachwuchs das A und O. Schließlich gilt es, zwei, drei oder vielleicht auch vier Babys gerecht zu werden. Dr. Isbruch rät: Während Windeln in mehrfacher Ausführung vorrätig sein sollten, reichen eine Milchpumpe, eine Wickelkommode und eine große Krabbeldecke für den Anfang vollkommen aus. Beim Kinderwagen hingegen sollten sich Mehrlingseltern frühzeitig damit beschäftigen, den passenden Mehrlingswagen für ihren Bedarf zu finden.
Tipp 3: Kleidung und Spielzeug für Mehrlinge – weniger reicht auch
Benötigen Familien, die zwei oder drei Neugeborene mit nach Hause bringen, automatisch das Zwei- oder Dreifache an Kleidung und Spielzeug? Nicht unbedingt. Unsere Expertin empfiehlt: Eine grobe Faustregel besagt, dass Eltern für Zwillinge etwa die anderthalbfache Menge an Kleidung und Spielzeug benötigen, während Drillingseltern mit der doppelten Menge auskommen. Auch das ist aber sehr individuell und hängt von den Bedürfnissen der Babys ab.
Auf einen guten Start
Ob ein Kind, Zwillinge, Drillinge oder Vierlinge – jedes Neugeborene hat individuelle Bedürfnisse und entwickelt eigene Verhaltensmuster. Für den Anfang gilt: Ruhe bewahren und Hilfe von einer Hebamme, den Eltern, Geschwistern und Freunden annehmen. So erleichtern Mehrlingseltern nicht nur ihren Kindern, sondern auch sich selbst den Start in den gemeinsamen Alltag als etwas größere Familie.
Hinweis der Redaktion: Die im Interview gewählte männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen, die ausdrücklich mitgemeint sind.