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Aus dem Alltag einer pflegenden Angehörigen

Janine spricht darüber, wie die Erkrankung ihres Sohnes ihr Leben verändert hat und wie bedeutend die kleinen Dinge im Leben sind. Aber auch, wie wichtig es ist, sich als pflegende Angehörige nicht selbst zu vergessen und welchen Halt ihr die Arbeit gibt. Seit 2017 ist sie Pressesprecherin in der Helios Klinik Lengerich und verantwortet die Marketing Abteilung – eine große Stütze in harten Zeiten. Lesen Sie hier mehr.

08. Mai 2023
Mutter mit Neugeborenem auf Schoß

Auf großes Glück folgt die Schockdiagnose

Die Schwangerschaft verläuft ohne Auffälligkeiten. Als Janine ihren Sohn in den Händen hält, ist die Freude groß. Doch irgendetwas ist da, was sie nicht zuordnen kann, ein mulmiges Gefühl. „Ich wusste etwas stimmt nicht mit meinem Sohn und mein Bauchgefühl sollte sich leider bestätigen.“ Denn bereits kurz nach der Geburt hat er eine Hirnblutung, verursacht durch einen bis dahin unerkannten Gendefekt.

Sechs Tage nach der Geburt teilt ihr das Ärzte-Team mit, dass sie nicht wissen, ob ihr Kind die Nacht überleben wird. Doch ihr Sohn ist ein Kämpfer und übersteht die Nacht und die darauffolgenden. Allerdings bleibt die Prognose schlecht. Im MRT (Magnetresonanztomographie) zeigt sich ein großes schwarzes Loch im Gehirn. Die Mediziner:innen gehen von einem mehrfach schwerstbehinderten Kind aus, das später weder laufen, stehen noch alleine essen werden kann.

Pressesprecherin Janine Koop

Eine schwere Zeit

Die ersten drei Lebensjahre verlaufen entgegen aller Annahmen gut. Ihr Sohn entwickelt sich altersentsprechend in Sprache und Motorik. Immer anwesend bleibt jedoch die Ungewissheit, ob und was noch passieren wird.

In seinem dritten Lebensjahr ändert sich alles. Ihr Sohn bekommt Anfälle. Diagnose: ESES. Die Abkürzung steht für Electrical Status Epilepticus during Slow sleep und stellt eine seltene Form der Epilepsie dar, bei der es zu epileptischen Anfällen während des Schlafes kommt.

Ein herber Rückschlag für Janine und ihren Sohn. Dennoch entscheidet sie sich nach harten vier Jahren, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und bewirbt sich für die Stelle der Pressesprecherin in der Helios Klinik Lengerich – der Zeitpunkt eigentlich mehr als unpassend. Aber sie wollte auch wieder etwas für sich tun. „Mit eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt sie heute. Janine spielte von Beginn an mit offenen Karten beim Arbeitgeber, was die häusliche Situation anging – selbst eine Mutter-Kind-Kur direkt nach Dienstantritt ist kein Hindernis gewesen – sie bekam die Stelle und setzte sich gegen zwei männliche Bewerber durch.

Es folgte eine anstrengende und fordernde Zeit für die alleinerziehende Mutter, denn die Epilepsie nahm ihrem Sohn alles, was er erlernt hatte: Sie muss nicht nur den plötzlichen Sprachverlust ihres Sohnes verkraften, sondern auch damit fertig werden, dass tägliche Aktivitäten wie Essen, Spielen oder Bescheid geben, wann er auf die Toilette muss, nicht mehr ohne ihre Hilfe funktionieren. Sie stellt Anträge bei Ämtern sowie der Krankenkasse auf Unterstützung und Anerkennung des Pflegegrads. Nachts werden die Vitalwerte ihres Sohnes mit einem sogenannten Pulsoximeter überwacht, eine Sauerstoffflasche steht seither für den Notfall bereit am Bett. „Am schlimmsten ist für mich zu dieser Zeit gewesen, dass mein Sohn nicht mehr spricht und wieder alles verlernt hat, was er bereits konnte.“

Ihr Sohn erhält Pflegegrad 4. Die Diagnose ihres Sohnes trifft Janine schwer, doch sie gibt nicht auf und versucht alles, damit ihr Sohn vielleicht doch irgendwann wieder spricht und ein Stück seiner motorischen Selbstständigkeit zurückkommt.

Helios Klinik Lengerich

Unternehmenskommunikation und Marketing

Am schlimmsten ist für mich zu dieser Zeit gewesen, dass mein Sohn nicht mehr spricht und wieder alles verlernt hat, was er bereits konnte..

Ernährungsumstellung bringt erste Erfolge

Vor drei Jahren entscheidet sie sich dazu, ihren Sohn ketogen zu ernähren. „Diese Ernährungsform ist bei Kindern in den USA oftmals Teil der Standardtherapie, wenn sie diese Epilepsie haben“, sagt Janine. Bei der ketogenen Ernährung handelt es sich um eine kohlenhydratarme, aber dafür fettreiche Ernährungsweise. Sie besteht zu 80 Prozent aus Fett, den Rest stellen Kohlenhydrate und Eiweiße. Ziel ist, dass eine Ketose erreicht wird, wodurch sich der Stoffwechsel im Gehirn ändert.

Insgesamt kämpft sie über ein Jahr bei den Ärzten ihres Kindes dafür, dass sie die Ernährungsform ausprobieren darf. Als diese endlich zustimmen, wird die Ernährungsumstellung zunächst stationär eingeführt, bevor sie im häuslichen Umfeld fortgesetzt werden kann.

Das Ergebnis ist mehr als nur erfreulich: Seitdem ihr Sohn ketogene Speisen erhält, ist er krampffrei. Ein Riesenerfolg für Mutter und Sohn.

Eine US-Amerikanerin bringt die Stimme zurück

Um einen möglichst abwechslungsreichen Essensplan zu haben, stöbert Janine auf der Social Media-Plattform Instagram nach neuen Rezepten. Dabei lernt sie eine Mutter aus den USA kennen, deren Tochter die gleiche seltene Epilepsieform hat wie ihr Sohn. Nach diversen Chat-Nachrichten kommt die Frage auf, ob ihr Sohn ebenfalls ein bestimmtes Medikament erhält, welches in den USA bei ESES-Kindern mit 70-prozentiger Erfolgsquote als Standardtherapie eingesetzt wird.

Bei dem Medikament handelt es sich eigentlich um ein Mittel gegen Demenz und Parkinson bei Erwachsenen. Es bekämpft nicht die Ursache, sondern die Symptome. Mit diesem neuen Wissen wendet sich Janine an das betreuende Epilepsiezentrum und kämpft erneut ein Jahr mithilfe ihres Anwalts darum, dass das Medikament für ihren Sohn zugelassen wird. „Ich gebe bis zum Schluss alles für mein Kind“, sagt sie mit entschlossener Stimme. Sie hat Erfolg: Seit dem Sommer 2022 darf sie ihm das Medikament täglich verabreichen. Und sie hat alles richtiggemacht.

Stück für Stück kehrt der Zehnjährige zurück ins Leben, redet wie ein Wasserfall und stellt seiner Mama viele Fragen. Auch sein Papa ist für ihn eine wichtige Bezugsperson. Bei ihm ist er jedes zweite Wochenende und freut sich immer riesig auf die gemeinsame Vater-Sohn-Zeit. Mittlerweile besucht ihr Kind die dritte Klasse einer Förderschule, die auf die geistige und emotionale Entwicklung ausgerichtet ist und die er bis zur 12. Klasse besuchen kann.

Arbeit gibt während all dieser Zeit Kraft

Aus ihrem Job als Abteilungsleiterin schöpft Janine immer wieder neue Energie. „Ich habe mich in all den Jahren jeden Morgen gefreut, ins Büro zu fahren. Die Arbeit ist für mich der Ausgleich zum Muttersein." Während Janine arbeitet, wird ihr Sohn betreut.

Ihr Team und ihr Geschäftsführer Frank Mönter stehen während der gesamten Zeit hinter ihr und sind verständnisvoll, wenn sie statt ins Büro zu kommen, doch im Homeoffice bleibt oder wieder für ein paar Wochen ins Krankenhaus oder eine Reha muss. „Es ist total normal für alle. Egal was ist, sie unterstützen mich und das gibt mir sehr viel Kraft. Das Ergebnis ist natürlich, dass ich in meinem Job mehr als über meine Arbeitszeit hinaus engagiert bin.“

In Februar 2023 hat sie sich entschlossen, ihren Master im Gesundheitsmanagement zu machen. Das Studium ist komplett online, wodurch sie auch viel abends oder am Wochenende dafür machen kann. Auch hier ist ihr Klinikgeschäftsführer wieder mehr als unterstützend – finanziert wird das Studium durch Helios.

Noch viel zu tun

Auch wenn es für pflegende Angehörige finanzielle Unterstützung und pflegerische Hilfe gibt, ist der bürokratische Aufwand für pflegende Eltern meist sehr belastend: Anträge, Widersprüche, Atteste. Janine hat mittlerweile Entlastung in Form von drei Betreuerinnen gefunden, die sich um ihr Kind kümmern, während sie arbeitet, mal etwas mit Freunden und ihrem Partner unternimmt oder Ich-Zeit braucht. Der Weg dahin bestand aus vielen ausgefüllten Formularen und Arztbesuchen. So ist es auch kein Wunder, dass sich Janine eine Verbesserung der Anlaufstellen für Betroffene wünscht. Es sollte klar sein, was zu tun ist und an wen sich Betroffene wenden können.

Zudem wünscht sie sich, dass „es kein Hindernis für Arbeitgeber sein sollte, jemanden einzustellen, der ein Kind mit Behinderung hat. Diese Mütter und Väter sind wahre Organisationstalente und eine Bereicherung für jedes Team.“ Helios geht hier mit gutem Beispiel voran.

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