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Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS): Langzeitfolgen nach Intensivtherapie

In Deutschland werden jedes Jahr rund zwei Millionen Patientinnen und Patienten auf einer Intensivstation behandelt. Viele von ihnen leiden nach einem längeren Intensivaufenthalt an körperlichen, psychischen und kognitiven Langzeitfolgen. Unser Experte Prof. Dr. Heinrich V. Groesdonk, Chefarzt der Klinik für Interdisziplinäre Intensivmedizin und Intermediate Care im Helios Klinikum Erfurt, spricht im Interview über Risikofaktoren, Therapiemöglichkeiten und Folgen des PICS. 

27. Mai 2024
Corona Intensivstation, Pflege, Helios Klinikum Berlin-Buch

Herr Prof. Dr. Groesdonk, was ist das Post Intensive Care Syndrom?

Prof. Dr. Heinrich V. Groesdonk: Das Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS) beschreibt langfristige Beeinträchtigungen, die nach einem Aufenthalt auf einer Intensivstation auftreten können.

Die Symptome von PICS lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: physische, kognitive und psychische Störungen. Physische Symptome umfassen anhaltende Schwäche, Müdigkeit und Schmerzen. Kognitive Beeinträchtigungen können Gedächtnisverlust, Konzentrationsschwierigkeiten und eine verminderte Problemlösefähigkeit beinhalten.

Psychische Probleme können Angstzustände, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen umfassen. Diese Symptome können isoliert oder in Kombination auftreten und die Wiederherstellung der Unabhängigkeit und Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigen.

Was sind auslösende Risikofaktoren?

Prof. Groesdonk: Die Entwicklung von PICS kann durch eine Vielzahl von Faktoren begünstigt werden. Zu den wichtigsten zählen längere Aufenthalte auf der Intensivstation, schwere und komplexe Erkrankungen, die mechanische Beatmung und das Erleben von Delirien – also Verwirrtheitszustände – während des Aufenthalts.

Zusätzlich können vorbestehende physische und psychische Gesundheitsprobleme sowie Alter und Geschlecht des Patienten das Risiko erhöhen. Soziale Unterstützungssysteme wie beispielsweise die eigene Familie, Freunde oder auch andere Menschen die Halt und Unterstützung geben können spielen eine wesentliche Rolle bei der Modulation dieser Risiken, wobei mangelnde Unterstützung als weiterer Risikofaktor gilt.

Helios Klinik Blankenhain

Chefarzt

Die langfristigen Folgen von PICS können eine deutlich reduzierte Lebensqualität, verminderte Arbeitsfähigkeit, soziale Isolation und anhaltende Gesundheitsprobleme umfassen. 

Wie wird das PICS diagnostiziert?

Prof. Groesdonk: Die Diagnose von PICS ist komplex und basiert hauptsächlich auf der klinischen Bewertung der physischen, kognitiven und psychischen Symptome, die nach der Entlassung aus der Intensivstation auftreten. Es gibt keine spezifischen Labortests für PICS; vielmehr erfolgt die Diagnose durch eine umfassende medizinische Untersuchung und die Auswertung der medizinischen Geschichte des Patienten. Das frühzeitige Erkennen von Symptomen und Risikofaktoren ist entscheidend für den Verlauf der Therapie.

Wie wird das PICS therapiert?

Prof. Groesdonk: Die Behandlung des PICS erfordert einen individuell angepassten, multidisziplinären Ansatz. Sowohl physio- als auch ergotherapeutische Maßnahmen spielen eine wesentliche Rolle, um motorische Fähigkeiten zu verbessern beziehungsweise wiederherzustellen.

Die kognitive Rehabilitation zielt darauf ab, das Gedächtnis und Exekutivfunktionen, die für die Kontrolle und Selbstregulierung des Verhaltens erforderlich sind, zu verbessern. Psychologische Beratung, einschließlich einer Verhaltenstherapie sowie das Erlernen von Strategien zur Stressbewältigung, können dazu beitragen, Angstzustände, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen zu bewältigen. Die Beteiligung von Ernährungsberatern kann ebenfalls wichtig sein, um den Ernährungszustand und somit die Gesundheit der Betroffenen zu verbessern.

Welche Folgen bringt das Krankheitsbild mit sich?

Prof. Groesdonk: Die langfristigen Folgen von PICS können eine deutlich reduzierte Lebensqualität, verminderte Arbeitsfähigkeit, soziale Isolation und anhaltende Gesundheitsprobleme umfassen. Diese Beeinträchtigungen können sowohl die Betroffenen als auch deren Familien schwer belasten.

Wie kann man dem PICS vorbeugen?

Prof. Groesdonk: Zur Prävention von PICS gehören Maßnahmen wie die Reduktion der Zeitdauer des künstlichen Komas während der Intensivbehandlung, eine frühzeitige Mobilisation und Rehabilitation, sowie das Management von Delirium und Schmerzen während des Krankenhausaufenthalts.

Welche Rolle spielen Angehörige?

Prof. Groesdonk: Angehörige spielen eine wichtige Rolle, indem sie emotionale Unterstützung bieten, bei der Rehabilitation helfen und als Fürsprecher für die Bedürfnisse des Patienten agieren. Angehörige können jedoch selbst vom sogenannten PICS-F betroffen sein, einem Syndrom, das die psychische Belastung von Familienmitgliedern beschreibt.

Wie läuft die ambulante Nachsorge ab?

Prof. Groesdonk: Die ambulante Nachsorge für PICS-Patienten sollte eine kontinuierliche physikalische, kognitive und psychologische Rehabilitation umfassen. Diese kann beispielsweise regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen, sowie psychotherapeutische Sitzungen beinhalten, um den individuellen Fortschritt zu unterstützen und Rückschläge zu vermeiden.

Welchen Zusammenhang zwischen PICS und intensivpflichtigen Covid-19-Patient:innen gibt es?

Prof. Groesdonk: Intensivpflichtige Covid-19-Patienten zeigen häufig Symptome von PICS aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung, langen Intensivaufenthalten und der häufigen Notwendigkeit komplizierter  medizinischer Maßnahmen wie die mechanische Beatmung. Die hohe Prävalenz von Delirium und die emotionalen Belastungen während der Behandlung tragen ebenfalls zu einem erhöhten Risiko für PICS bei.

Hinweis der Redaktion: Die im Zitat gewählte männliche Form bezieht sich immer auch auf weibliche und diverse Personen, die ausdrücklich mitgemeint sind.

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