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Psychosomatik in Corona-Zeiten

Nicht nur die Angst vor Ansteckung belastet die Menschen, sondern auch die damit verbundenen Unsicherheiten und Befürchtungen, sowie der Verlust an sozialen Kontakten. All das kann ein psychosomatisches Krankheitsbild verstärken.

06. August 2020
Horizontal view of happy patient at doctor's office

Was macht die Coronapandemie bei Menschen mit somatoformen Störungen?

Zu Beginn der Pandemie sah man viele detaillierte Berichte, besonders auch Videos, über mögliche körperliche Symptome bei einer Infektion mit dem neuen Coronavirus.

Bei Menschen mit somatoformen Störungen, deren körperlich empfundene Symptome nicht (nur) auf körperliche Erkrankungen zurückgeführt werden können, lösen diese starke Anspannung und Sorge aus. Diese können so weit gehen, dass sie alle Beschwerden, die ein:e Coronainfizierte:r haben kann, selbst an sich spüren.

Eine Beruhigung durch die Hausärztin oder den Hausarzt klappt nicht immer oder hält nicht lange an. Betroffene wünschen wiederholte Tests, um sich sicherer zu fühlen und sich wieder beruhigen zu können. Patient:innen mit somatoformen Störungen leben oft schon durch ihr Leiden sozial zurückgezogen.

Dies wird durch die offiziellen Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen der Pandemie noch verstärkt. Wenn dann noch existentielle Probleme oder Sorgen um Angehörige dazu kommen, können sich Ängste und depressive Symptome einstellen, gegenseitig verstärken und zu Anpassungsstörungen führen.

Wer ist besonders belastet?

Besonders belastet sind die Patient:innen mit psychogener Schluckangst, deren Hauptsymptom die Angst vor dem Ersticken ist. Durch die Fernsehberichte und Zahlen von beatmungspflichtigen, „erstickenden“ Patienten werden ihre eigenen panischen Befürchtungen verstärkt.

Aber auch Menschen mit körperlichen Erkrankungen wie Lungenkrankheiten, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Mellitus, Übergewicht oder Krebserkrankungen erfahren durch die Medien, dass sie zur Risikogruppe gehören. Dies kann zu starker Verunsicherung und Ängsten führen, zu einer Zunahme von Symptomen.

Bei Hilflosigkeits- und Überforderungserleben neigen einige Patient:innen dazu, die Behandlung ihrer Grunderkrankung schleifen zu lassen oder zu ignorieren, mit teils gravierenden Folgen. Oder es werden die regulären Medikamente abgesetzt oder andere ohne Indikation (ärztlichen Rat) eingenommen, ebenfalls mit teils gefährlichen Konsequenzen.

Patient:innen mit Asthma berichteten von ihrer großen Angst, im Falle einer Infektion keinen für Infektiöse erforderlichen Rettungswagen zur Verfügung gestellt zu bekommen, nicht schnell genug in ein geeignetes Krankenhaus kommen zu können oder dass kein Beatmungsgerät für sie vorhanden sei.

Auch benannten sie es als unangenehm, am Anfang der Corona-Krise - als noch wenig über die erforderlichen Schutzmaßnahmen und die Infektiösität des Virus bekannt war – zum eigenen Schutz vor einer Infektion auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen zu sein, etwa beim Einkauf.

Patient:innen mit Essstörungen haben berichtet, dass der Wegfall der Tagesstruktur durch Schule, Ausbildung, Studium, Beruf oder Job mit mehr Leerlauf, reduzierten sozialen Kontakten oder Homeoffice zu einer Verstärkung der Erkrankung führte. Diejenigen, die unter heimlichen Essanfällen oder Essbrechanfällen leiden und damit belastende Gefühle wie Wut, Ärger, Neid, Scham und Angstgefühle zu regulieren versuchen, berichteten, dass die Gegenwart anderer Zuhause, das Praktizieren der Essstörungssymptome erschwere und damit die Symptomatik und Not noch verstärkt wurde.

Wenn das Ausmaß der Essstörung nicht mehr verheimlicht werden kann, führt dies häufig zu Spannungen im häuslichen Umfeld. Auch das Tragen des Mund- und Nasenschutzes wurde von einigen als besonders belastend erlebt.

Patientinnen und Patienten, die mit Sport im Rahmen ihrer Essstörung gegenregulieren, litten unter den geschlossenen Fitnessstudios, da dies häufig auch der Ort ihrer teils einzigen sozialen Kontakte sei.

Aber auch die permanente Anwesenheit der Partnerin oder des Partners, der Familie oder von Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern sowie Nachbarn kann überfordernd sein – vor allem für Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich abzugrenzen. Auch die Angst vor erhöhter häuslicher Gewalt wurde benannt.

Patient:innen mit Traumafolgestörungen erleben die Ungewissheit, die fehlende Berechenbarkeit und das Gefühl der permanenten Bedrohung und Schutzlosigkeit in Zeiten der Viruspandemie als Trigger für ihre Trauma-Erlebnisse.

Die eingeschränkte, nonverbale Kommunikation und Einschätzbarkeit eines Gegenübers durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes mit fehlender Mimik ist für viele traumatisierte Menschen nur schwer zu ertragen. Durch die Fernsehberichte von Massengräbern können zudem, gerade bei älteren Personen oder Menschen aus Krisengebieten, Kriegserlebnisse reaktiviert werden.

Die Gesamtsituation wird für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen noch erschwert, da Psychotherapie nicht oder nur seltener oder über Video und telefonisch stattfinden kann. Patient:innen, die noch auf der Suche nach einem Therapieplatz sind, haben es derzeit noch schwerer weil die Wartezeiten noch länger sind.

Und das verschärft die Situation noch, denn in dieser Krisenphase sind psychisch kranke Menschen auf die Stabilisierung durch psychotherapeutische Behandlungen angewiesen.

Tipps zum Umgang mit der Pandemie

Um besser mit einer unbekannten Situation, wie die einer Pandemie, umzugehen, gibt es einige Punkte, die Sie beachten können.

Selbstfürsorge

Ganz grundsätzlich gilt, wie in jeder Krise, die Regeln der Psychohygiene einzuhalten – mit guter Selbstfürsorge, Bewegung im Freien, ausreichendem Schlaf, gesunder Ernährung und genügend Trinken. Der Rückgriff auf Substanzkonsum als Bewältigungsstrategie sollte vermieden werden.

Unterstützung suchen und Bewährtes beibehalten

Auch Menschen ohne psychische Erkrankungen erleben aus verschiedenen Gründen vermehrt Stress durch die Pandemie. Besonders, wenn sie zum Beispiel eine Zeitlang in Quarantäne müssen. Das Auftreten von Emotionen wie Angst und Furcht, Desorientierung, Traurigkeit, aber auch Wut oder Ärger ist eine grundsätzlich normale Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis. Jeder sollte sich daher soziale Unterstützung im Freundes- oder Familienkreis organisieren. Aber es steht natürlich auch weiterhin professionelle Unterstützung im psychosozialen Hilfesystem zur Verfügung. Bezüglich der Bewältigung emotionaler Belastungen sollte man sich an bisher erfolgreichen Bewältigungsstrategien erinnern.

Faktenbasierte Informationen

Wichtig scheint zudem eine Information über die Fakten und aktuellen Präventionsempfehlungen aus seriösen Informationsquellen wie beispielsweise durch das Robert Koch-Institut (RKI) oder das Bundesgesundheitsministerium oder den öffentlich-rechtlichen Sendern und die Einschränkung des Konsums von potenziell beunruhigender Medienberichterstattung. Dabei sollten positive Nachrichten, wie beispielsweise die Zahl der bereits gesundeten Menschen, bewusst berücksichtigt werden. Eine zeitliche Begrenzung zum Selbstschutz ist nicht immer leicht einzuhalten, aber hilfreich.

Soziale Kontakte suchen

Da Isolationsgefühle depressive Gefühle verstärken können, ist es von besonderer Bedeutung, weiter mit Bekannten, Arbeitskollegen, Freunden und Familie zu kommunizieren, um so Gefühle von Einsamkeit zu reduzieren. Für die Aufrechterhaltung dieser Kommunikation kann die Nutzung entsprechender technischer Kommunikationsmedien empfohlen werden (zum Beispiel Messenger-Apps). Mittlerweile sind ja auch wieder reale Treffen mit entsprechendem Abstand möglich. Aber achten Sie darauf, sich nicht zu überfordern, Sie müssen sich bei solchen Treffen sicher fühlen.

Unterstützung in der Familie und Freundeskreis ist nicht immer möglich, trotzdem ist es wichtig mit anderen über das Thema und eigene Sorgen zu sprechen, aber nicht ausschließlich. Wichtig ist bei aller Bedrohlichkeit, die Relationen nicht aus dem Blick zu verlieren, besonnen und nicht panisch zu reagieren und den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.

Finanziell und existentielle Sorgen begünstigen Ängste und depressive Symptome, daher ist es wichtig sich gegebenenfalls auch um diesen Bereich zu kümmern, Hilfe zu suchen und sich beraten zu lassen.

Krisenplan aufstellen

Zudem wird das Aufstellen eines Krisenplans empfohlen, um sich im Ernstfall schnelle medizinische und psychosoziale Hilfe zu holen. So hilft es, sich dafür einen klaren „Fahrplan“ aufzuschreiben: Was mache ich wenn…? An wende ich mich? Und wer springt dann ein für…? Das kann Unsicherheit und Ängste binden.

Aktiv bleiben

So sollte weiterhin regelmäßig körperliche Aktivität betrieben werden, die auch in der Wohnung leicht durchführbar ist (beispielsweise Yoga, Pilates oder Krafttraining). Ausnahmen und Einschränkungen gelten hier für Menschen mit Essstörungen, die ihren Bewegungsdrang teilweise reduzieren müssen, sich aber auch gerne draußen aufhalten sollen.

Zudem werden kognitive Aktivitäten empfohlen, wobei dabei unterschiedlichste Formen im Alltag denkbar sind (Sudoku, Kreuzworträtsel, Spiele). In der heutigen Zeit ist online viel möglich um „spielerisch“ in Kontakt zu bleiben. Weiterhin wird die Durchführung von Entspannungsübungen (zum Beispiel Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen) empfohlen. Dafür finden sich unzählige Anleitungen im Netz.

Weiter Ablenkung bieten Bücher oder Magazine, Filme und Fernsehsendungen, bei denen kein Bezug zu den aktuellen Ereignissen besteht.

Tagesstruktur schaffen

Versuchen Sie sich eine Tagesstruktur zu schaffen, mit regelmäßigen Kontakten, real mit Abstand oder digital. Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit sind dabei wichtig. Dies gilt ganz besonders, wenn Sie mit Kindern zusammenleben oder den Kontakt zu betagten Eltern gestalten wollen.

Dieser Artikel gibt den derzeitigen Wissensstand des zuletzt aktualisierten Datums wieder.

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