Zukunft ungewiss
Aufgrund einer seltenen Erkrankung wird das Gehirn von Nancy Rusch kaum noch durchblutet. Sie ist fast blind. Die zuerst behandelnden Spezialist:innen sehen aufgrund der komplexen Gefäßsituation keinen Therapieansatz mehr. Ob sie die Geburt ihrer Enkel Anfang 2018 noch erleben wird, ist höchst ungewiss. Was ist geschehen?
Ohnmachtsanfälle und Krankenhausaufenthalte
An einem heißen Sommertag 2017 bricht Nancy Rusch bei der Arbeit unvermittelt zusammen. Nachdem sie ausreichend getrunken hat, fühlt sie sich zunächst wieder fit. Trotzdem lässt sie sich vorsichtshalber ärztlich untersuchen – mit einem für die agile damals 50-Jährige schockierenden Ergebnis: Schwere Arteriosklerose als Folge einer sehr seltenen Fettstoffwechselstörung. Es folgen mehrere mehrwöchige Klinikaufenthalte. Doch trotz medikamentöser Therapie geht es der Duisburgerin immer schlechter. „Ich konnte keine zwei Meter mehr laufen, litt unter Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit.“
Nachdem sie auf einer Geburtstagsfeier wenige Monate erneut zusammenbricht, werden drei leichte Schlaganfälle diagnostiziert. Neben Krampfanfällen und Sprechstörungen kommen massive Sehstörungen hinzu „Wenn ich stilllag, konnte ich alles bestenfalls schemenhaft sehen. Sobald ich den Kopf anhob, wurde es schwarz. Ich konnte mich nur noch in der Wohnung aufhalten und hatte mich schon fast damit abgefunden, die Geburt meiner beiden Enkelkinder nicht mehr zu erleben.“ Nancy Rusch verbringt zwei weitere Wochen auf einer neurologischen Intensivstation. „Dort haben sie mir mitgeteilt, dass sie nichts mehr für mich tun könnten. Das war ein schlimmer Schock.“
Lebensbedrohliche Verengung der Blutgefäße
Ein guter Freund will sich mit dieser bitteren Prognose nicht abfinden. Er recherchiert. Mit Befunden, CT-Bildern und dem Tipp, dass das Helios Klinikum Krefeld über eine spezielle Expertise in der Behandlung schwerwiegender Gefäßerkrankungen verfügt, fährt er nach Krefeld und klopft kurzentschlossen an die Tür des Chefarztes, Dr. Gabor Gäbel.
„Der Zustand von Frau Rusch war akut lebensbedrohlich. Alle zum Kopf führenden Gefäße waren verschlossen. Lediglich von einer armversorgenden Arterie aus hatte sich ein natürlicher Bypass ausgebildet, der das Überleben sicherte. Aber auch hier hatte sich davor eine Verengung des Blutgefäßes, eine Stenose, entwickelt – der Blutfluss zum Gehirn drohte komplett abzureißen.“
Keine einfache Operation
Gemeinsam mit Prof. Knut Kröger, Chefarzt der Klinik für Angiologie, und Prof. Marcus Katoh, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, diskutiert er die verschiedenen Optionen. „Das Risiko, operativ einen Bypass von der Leistenarterie oder in Kooperation mit unseren Herzchirurgen direkt von der Hauptschlagader aus zur Halsarterie zu legen, wäre in ihrem Zustand sehr groß gewesen“, erläutert Dr. Gäbel. Daher soll zunächst versucht werden, die massiven Ablagerungen von innen heraus, endovaskulär, zu behandeln.
„Die besondere Schwierigkeit lag darin, dass die Stenose an der armversorgenden Arterie unmittelbar bis an die letzte verbliebene Hirnarterie reichte. Jede Manipulation hätte hier zu einer Verschleppung von thrombotischem Material und damit zu einem erneuten Schlaganfall oder zur Gefährdung des linken Arms führen können. Mit modernstem Interventionsmaterial gelang es, über einen wenige Millimeter großen Zugang in der Leiste, die Engstelle der Armarterie zu überwinden und mit Hilfe von filigranen Stents das Gefäß wieder zu eröffnen. Hierdurch hat das Gehirn wieder einen ausreichenden Anschluss an das arterielle System bekommen“, erklärt Prof. Marcus Katoh.
Freudenschreie und Tränen
Die Zeit, in denen die interventionellen Radiologen hochkonzentriert den Weg für den Blutfluss wieder freilegen, beschreibt die Mutter von vier erwachsenen Kindern als eine Ewigkeit. Dann wird es kurz laut im Interventionszentrum – ein Freudenschrei, Tränen fließen Nancy Rusch über die Wangen. „Ich kann wieder sehen – Monitore, Lampen und einen Mann mit Vollbart“, erinnert sich die Duisburgerin an die ersten Bilder.
„Dieser Moment hat auch uns tief berührt. Glücklicherweise hat Frau Rusch die Situation mit ihrem großartigen Humor gleich aufgelockert, sonst wären auf unserer Seite auch noch Tränen geflossen“, schmunzelt Oberarzt Dr. Peter Schott, der vollbärtige Interventionalist. „Endlich habe ich mein Leben zurück, kann wieder unabhängig unterwegs sein und bereits stundenweise arbeiten gehen.
All das genieße ich sehr und freue mich natürlich darauf, bald meine Enkelkinder im Arm zu halten“, sagt Nancy Rusch überglücklich. Auch heute, fast drei Jahre nach der Operation geht es Nancy Rusch gut. Sie kommt regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen in die Klinik.