Was ist die Vogelgrippe?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Die Vogelgrippe ist eine durch ein Virus verursachte Infektion, die Hühner, Puten, Gänse, Enten, Wasservögel und andere wildlebende Vögel befällt. Fachleute sprechen daher von einer aviären Influenza. Aviär bedeutet ‚auf Vögel bezogen‘ oder ‚von Vögeln stammend‘.
Es gibt verschiedene Subtypen, die sich in ihrer Gefährlichkeit unterscheiden. Von Ausbrüchen unter Vögeln wurde bereits vor 150 Jahren berichtet. In den letzten Jahrzehnten und vermehrt seit 2020 wurden vor allem Ausbrüche mit dem Subtypen H5N1 beobachtet, die von der kommerziellen Geflügelzucht ausgingen und sich unter Wildtieren ausgebreitet haben.
Dieser Subtyp gilt als besonders aggressiv und führt in der Regel zum Tod der erkrankten Tiere. Darüber hinaus wurden von diesen Subtypen in Einzelfällen Übertragungen auf Hauskatzen, Zootiere und auch Menschen beobachtet. Es gilt als der einzige Subtyp des Vogelgrippevirus, der auf Menschen übertragbar ist. In Europa ereignete sich das bisher größte Ausbruchsgeschehen unter Vögeln mit dem aviären H5N1-Virus in den Jahren 2021/2022, in dessen Folge fast 50 Millionen Vögel gekeult werden mussten.
Seit März dieses Jahres gibt es in den USA unter Milchkühen einen Ausbruch mit dem H5N1-Stamm, der als boviner Vogelgrippevirus bezeichnet wird. Bovin bedeutet ‚das Rind betreffend‘. Die Kühe fielen in erster Linie mit unspezifischen Symptomen und reduzierter Milchproduktion auf.
Übertragungen von Vögeln auf Säugetiere war in der Vergangenheit nur sporadisch beobachtet worden. Dies ist der erste Ausbruch mit dem H5N1-Virus unter Säugetieren. Im Rahmen dieses Ausbruchsgeschehen wurden Übertragungen auf Katzen der betroffenen Bauernhöfe nachgewiesen, die tödlich verliefen, auf Geflügel und insgesamt vier Bauern.
Was sind die Symptome der Vogelgrippe?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Die Symptome einer aviären H5N1-Infektion beim Menschen können von milden Beschwerden wie Husten und Halsschmerzen bis hin zur Lungenentzündung und akutem Lungenversagen reichen. Die Menschen, die sich bisher mit dem bovinen H5N1-Virus infiziert haben, haben milde Symptome einer Bindehautentzündung oder einer leichten Grippe gezeigt.
Wie kann man sich anstecken?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Die bisher seltenen Übertragungen von aviärem H5N1 auf den Menschen wurden nach engen und langem Kontakt zu infiziertem Geflügel beobachtet. Als Infektionsweg nimmt man eine Schmierinfektion über Hände und folgend Augen, Nase und Mund an oder eine Inhalation von erregerhaltigem Kotstaub an. Bisher wurde weltweit nur eine wahrscheinliche Mensch-zu-Mensch Übertragung mit einem H5N1-Virus beobachtet. Im Rahmen des aktuellen Ausbruchs unter Milchkühen haben sich bisher nur einige wenige Farmer durch den direkten, engen Kontakt zu infizierten Kühen angesteckt.
Nach aktuellen Untersuchungen an Frettchen, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, ist eine Übertragung des bovinen Vogelgrippevirus auf und unter Menschen über die Atemwege unwahrscheinlich. Frettchen werden als Versuchstiere bei Influenza verwendet, weil sich die Ergebnisse am ehesten auf Menschen übertragen lassen. Bei diesem Experiment infizierten sich Frettchen im direkten Kontakt untereinander nicht. Eine Infektion erfolgte erst nach einer direkten Beimpfung der Nase mit einer hohen Erregerdosis. Experimente an Mäusen haben gezeigt, dass das Virus über Milch an andere Tiere übertragen werden kann.
Dabei haben relativ geringe Erregerdosen ausgereicht, um Infektionen unter Mäusen auszulösen, die teils auch tödlich verliefen. Weitere Experimente haben belegt, dass die übliche Pasteurisierung der Milch die Viren sicher abtötet. Damit ist eine Infektion von Menschen über die handelsübliche Milch ebenfalls nicht denkbar. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung des bovinen H5N1-Virus ist bislang nicht bekannt.
Ist die Vogelgrippe gefährlich für Menschen?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Bei Infektionen von Menschen mit aviärem H5N1 wurden in der Vergangenheit schwere Verläufe mit Lungenentzündungen und akutem Lungenversagen beobachtet. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden in den letzten 20 Jahren fast 900 H5N1-Infektionen bei Menschen beobachtet, von denen mehr als 50 Prozent tödlich verliefen. Somit ist der aviäre H5N1 ein für den Menschen seltener, aber potentiell gefährlicher Erreger. Der bovine H5N1 Virus hat bisher nur milde Erkrankungen verursacht. Es scheint bisher nicht die tiefe Atemwege befallen zu können.
Gibt es Impfstoffe?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Jedes Jahr wird der Grippe-Impfstoff auf aktuelle Varianten angepasst. Genauso könnte man den Impfstoff auf H5N1 anpassen. Ein Impfstoff liegt somit aktuell noch nicht vor, könnte bei einer Pandemie recht schnell hergestellt werden und müsste nicht wie bei der Covid-19-Pandemie erst entwickelt werden.
Ist die Vogelgrippe heilbar?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Zur Behandlung stehen prinzipiell dieselben antiviralen Wirkstoffe zur Verfügung, die bei Influenza eingesetzt werden können. Bei Influenza können diese den Verlauf mildern, wenn sie innerhalb der ersten Tage nach Symptombeginn verabreicht werden.
Wie groß ist die Gefahr einer Vogelgrippe-Pandemie?
PD Dr. Marzia Bonsignore: Die aktuellen Untersuchungen legen nahe, dass das bovine H5N1-Virus aktuell nicht über die Atemwege auf oder unter Menschen übertragen werden kann. Für eine Pandemie, wie die Covid-19-Pandemie, braucht es eine leichte Übertragbarkeit, die es ermöglicht, dass ein infizierter Mensch viele andere ansteckt. Dieses Potenzial hat das Vogelgrippevirus aktuell nicht. Das Virus verändert sich jedoch, ähnlich wie beim Coronavirus entstehen neue Varianten.
Im Gegensatz zu seinen Vorfahren kann das H5N1-Virus, das aktuell die Milchkühe befällt, mittlerweile an einen Rezeptor binden, der in den Atemwegen der Menschen vorkommt. Bei weiteren genetischen Veränderungen könnte das Virus dann doch die Fähigkeit zur Übertragung über die Atemwege entwickeln. Daher ist es so wichtig, den aktuellen Ausbruch schnell zu kontrollieren, damit das Virus nicht die Gelegenheit bekommt, sich weiter an den Menschen zu adaptieren.