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Wirbelgleiten – wenn Wirbel „wandern“

Wirbelkörper können sich verschieben. Häufig ist eine Überbeanspruchung die Ursache des sogenannten Wirbelgleitens. Doch was ist das eigentlich? Wie kommt es dazu? Und was kann man dagegen tun? Unser Experte erklärt. 

Physiotherapeutin behandelt Patientin am Rücken

Was versteht man unter Wirbelgleiten?

Eine sogennante Spondylolisthese oder einfach nur Olisthese (aus dem Griechischen „Spondylos“ Wirbel und „Olisthesis“ Gleiten) bezeichnet den Versatz zweier Wirbel beziehungsweise Wirbelkörper eines Bewegungssegments gegeneinander. Dabei gleitet der obere über den unteren nach vorne. Daher das Wort „Wirbelgleiten“ oder auch „Gleitwirbel“.

Ein Bewegungssegment umfasst zwei Wirbel, die zwischen ihnen liegende Bandscheibe und die Wirbelgelenke. 

 

Wie kommt es zum Wirbelgleiten?

Wirbelgleiten kann unterschiedlichste Ursachen haben. Es kann sich als Folge einer angeborenen Fehlbildung der Wirbelsäule oder erst während des Wachstums entwickeln.

Nicht selten entsteht es im Zuge von Verschleißprozessen im mittleren bis höheren Lebensalter. Auch unfall- oder operationsbedingte Verletzungen der Wirbelsäule können ursächlich vorliegen.

 

Verschiedene Formen des Wirbelgleitens

„Ursache des ‚echten Wirbelgleitens‘, der sogenannten Spondylolisthesis vera, ist entweder eine anlagebedingte Wirbelfehlbildung der unteren Lendenwirbelsäule und des oberen Kreuzbeins bei der dysplastischen Form. Auch eine im Kindes- oder Jugendalter erworbene Verletzung des knöchernen Übergangs zwischen Wirbelbogen und Wirbelkörper, meist des 5. Lendenwirbels, kann bei der isthmischen Form Ursache sein“, so Dr. Thomas Lerner, Ärztliche Leitung der Wirbelsäulenchirurgie in der Helios Klinik Lengerich.

 

Dysplastische Spondylolisthese

Bei der angeborenen/ anlagebedingten, der dysplastischen Spondylolisthese liegt eine Fehlbildung des Wirbelbogens zugrunde, die meist den 5. Lenden- und 1. Kreuzwirbel betrifft. Dabei spielen genetische Faktoren eine wesentliche Rolle. Diese Form tritt familiär gehäuft auf.

 

Spondylolyse/ isthmische Spondylolisthese

Im Falle des früh, im Kindes-/ Jugendalter erworbenen, isthmischen Wirbelgleitens kommt es zu einer Schädigung des Wirbelbogens im Übergang zum Wirbelköper mit resultierender Ausdünnung bis hin zur Spaltbildung, die als Spondylolyse bezeichnet wird.

Davon ist zu 80 Prozent der 5., also letzte Lendenwirbel betroffen. Infolgedessen kann sich der Wirbelkörper stetig weiter nach vorne verschieben und somit vom Wirbelbogen entfernen. Dies geht mit einem zunehmenden Verschleiß der Bandscheibe beim Erwachsenen einher.

Als Ursache werden sich ständig wiederholende Mikrotraumen während des Wachstums angenommen. Zum Beispiel bei intensiver Ausübung von Sportarten, die mit ständigen Überstreckungs-, Beuge- und Scherbelastungen der Wirbelsäule einhergehen.

Eine Spondylolyse liegt bei etwa vier bis sieben Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung vor, häufiger bei Männern.

„Durch eine ständige Überbeanspruchung der Wirbelsäule im Kindes-/Jugendalter, mit starkem Überstrecken nach hinten, wie etwa im Leistungssport, kann die isthmische Spondylolisthese ausgelöst werden“, sagt Dr. Lerner. Insbesondere Leichtathlet:innen (unter anderem Speerwerf:innen, Stabhochspringer:innen), Gewichtheber:innen, Turner:innen, Ringer:innen oder Delphinschwimmer:innen) sind gefährdet.

 

Degenerative Spondylolisthese

Bei der degenerativen Spondylolisthese kommt es verschleißbedingt zu einer Gefügelockerung, bei der die Gelenke an der Wirbelsäule beweglicher sind als normal. Sie betrifft im Wesentlichen die mittlere bis untere Lendenwirbelsäule und tritt gehäuft bei Frauen über 60 Jahre auf.

Der alterungs- und belastungsabhängige Höhenverlust der Bandscheibe führt zu einer Mehrbelastung der hinteren Anteile des Bewegungssegments, also der Wirbel(-Facetten)gelenke und des Bandapparats. Facettengelenke verbinden die einzelnen Wirbel miteinander. Auf diese bereits überlasteten Strukturen wirken permanent Biege- und Scherkräfte ein, wodurch es im Weiteren zu einem Wirbelgleiten kommen kann. Die kompensatorisch gleichzeitig einsetzende, zunehmende Verdickung und Verkalkung der hinteren Anteile wiederum geht mit einer Verengung des Wirbelkanals und der Nervenaustrittskanäle einher.

Da es bei der degenerativen Form zu keiner Spondylolyse kommt, also keiner Unterbrechung des knöchernen Übergangs zwischen dem Wirbelbogen und Wirbelkörper, spricht man von einer Pseudospondylolisthese.

Durch eine ständige Überbeanspruchung der Wirbelsäule im Kindes-/ Jugendalter, mit starkem Überstrecken nach hinten, wie etwa im Leistungssport, kann die isthmische Spondylolisthese ausgelöst werden.

Ursachen für Wirbelgleiten 

  • Angeborene/ anlagebedingte Fehlbildung der Wirbelsäule (dysplastisch)
  • Früh erworbene Verletzung des knöchernen Übergangs zwischen Wirbelbogen und Wirbelkörper (isthmisch)
  • Verschleißbedingt (degenerativ)
  • Unfallbedingt
  • Pathologisch (zum Beispiel im Rahmen einer Entzündung oder Tumorerkrankung)
  • Postoperativ

 

Typische Symptome bei Wirbelgleiten

Nicht selten verläuft Wirbelgleiten beschwerdefrei und die Diagnose wird zufällig gestellt.

Wenn Beschwerden auftreten, dann folgende:

  • Meist tiefsitzende, im Verlauf zunehmende Schmerzen im Rücken und Gesäß
  • Chronische Muskelverspannungen
  • Instabilitätsgefühl der Wirbelsäule
  • Im Verlauf in die Beine ausstrahlender Schmerz, belastungs- beziehungsweise gehstreckenabhängig zunehmende Schmerzen, Gefühlsstörungen/ Missempfindungen, Schwäche der Beine (meist Besserung der Beschwerden durch nach vorn gebeugte Körperhaltung)
  • Selten beziehungsweise erst im weit fortgeschrittenen Stadium auftretende Lähmungserscheinungen der Beine, sehr selten Störung der Blasen- und Mastdarmfunktion

 

Diagnose des Gleitwirbels

Zuerst wird die Krankheitsgeschichte erhoben, dabei werden insbesondere folgende Punkte abgefragt:

  • Art und Dauer der Beschwerden
  • Familiäre Vorbelastung
  • Risikosportarten

Anschließend erfolgt eine umfassende körperliche Untersuchung, bei der folgende Punkte berücksichtigt werden müssen:

  • Haltung/ Schonhaltung
  • Beugestellung in Hüft- und Kniegelenken (kompensatorisch)
  • Beckenschiefstand
  • Gangbild
  • Sprungschanzenphänomen (sprich Stufenbildung zwischen den Dornfortsätzen) bei hohem Gleitgrad
  • Muskelhartspann
  • Rumpfbeweglichkeit
  • Druck- oder Klopfschmerz über der Wirbelsäule
  • Hüftlendenstrecksteife
  • Nervendehnungstest
  • Neurologischer Status: Gefühlsstörungen, Kraftdefizite der Beine, Reflexe
  • Pulsstatus

 

Schließlich wird abhängig von den Befunden eine bildgebende Diagnostik durchgeführt, die meist folgende Untersuchungen umfasst:

  • Röntgen der Lendenwirbelsäule stehend, seitliche Funktionsaufnahmen, gegebenenfalls Ganzwirbelsäulenaufnahmen
  • Magnetresonanztomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule

 

Therapie bei Spondylolisthese: Was hilft Betroffenen?

„Die Behandlung richtet sich nach Ursache und Ausmaß der Spondylolisthese, Alter des Patienten sowie Ausprägung und Dauer der Beschwerden“, so der Wirbelsäulenchirurg.

Vor der Entscheidung zu einer konservativen, also nicht-operativen Behandlung muss eindeutig geklärt sein, dass sich durch eine unmittelbare operative Therapie kein besseres Ergebnis erzielen lässt. Hauptziel ist bei beiden Behandlungsformen eine Verbesserung der Lebensqualität.

 

Konservative Therapie

Bei erst- bis zweitgradiger, isthmischer Spondylolisthese erfolgt zunächst eine bedarfsgerechte, konservative, also nicht-operative Behandlung. Diese sieht wie folgt aus:

  • Vermeidung sich wiederholender Überstreckungs-, Beuge- und Rotationsbelastungen der Wirbelsäule
  • Physiotherapie mit Anleitung zu rumpfstabilisierenden, dem Hohlkreuz entgegenwirkenden Eigenübungen in Verbindung mit physikalischen Maßnahmen und vorübergehender Reduktion der sportlichen Aktivität
  • Gewichtskontrolle
  • Ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes
  • In der akuten Phase entzündungshemmende, schmerzstillende, muskelentspannende Medikation
  • Lokales Spritzen mit Lokalanästhetikum und ggf. Kortison, ggf. unter Anwendung bildgebender Verfahren
  • Akupunktur
  • Bei anhaltenden Beschwerden Tragen eines elastischen Stützkorsetts über drei bis sechs Monate

 

Operative Therapie

Bei 3.- bis 4.-gradiger Spondylolisthese (nach Meyerding) sowie komplettem Abrutsch des Wirbelkörpers (Spondyloptose), 1.- bis 2.-gradiger Spondylolisthesis mit anhaltenden Beschwerden trotz Ausschöpfung der konservativen Behandlung, eindeutiger Instabilität, neurologischen Ausfallerscheinungen sowie selten bei der ausschließlichen Spondylolyse mit anhaltenden Beschwerden ist eine operative Therapie notwendig.

OP bei Spondylolisthese, wenn:

  • konservative Therapie nicht mehr ausreicht
  • Wirbelgleiten voranschreitet
  • Wirbelgleiten bereits sehr ausgeprägt ist
  • neurologische Symptome wie Gefühlsstörungen oder Kraftverlust vorliegen

Die Wahl des operativen Verfahrens hängt ebenfalls von der Form und dem Ausmaß der Spondylolisthese ab. Bei der angeborenen/anlagebedingten oder früh erworbenen Spondylolisthese sind meist nur die Nervenaustrittkanäle verengt, der Wirbelkanal aber eher weiter als normal. Bei der verschleißbedingten Form hingegen ist der Wirbelkanal verengt, nicht selten auch die Nervenaustrittkanäle.

Das Ziel der Operation ist die dauerhafte Wiederherstellung eines harmonischen seitlichen Profils, also der natürlichen Krümmung der Wirbelsäule, mit Beseitigung sämtlicher Wirbelkanal- und Nervenengpässe. Dabei wird eine Versteifung des Bewegungssegments durchgeführt. Dies bezeichnet man als Spondylodese.

 

Operative Verfahren im Überblick

Lesen Sie, welche verschiedenen operativen Methoden es gibt: 

Repositionsspondylodese

Die sogenannte Repositionsspondylodese beschreibt eine stabilisierende Gefügekorrektur, Verschraubung und Knochenanlagerung.

Bei diesem Operationsverfahren geht die/der Operateur:in in der Regel meist ausschließlich über einen hinteren Zugang zur Wirbelsäule vor. Die/der Patient:in befindet sich entsprechend in Bauchlagerung. Soweit möglich, erfolgt die Repositionsspondylodese als minimalinvasiver Eingriff.

Bei der isthmischen Spondylolisthese wird der abgerutschte Wirbelkörper nach abgeschlossener mikrochirurgischer Freilegung und Entlastung der eingeengten Nervenwurzeln mittels eines Titan-Schrauben-Stab-Systems soweit als möglich in seine ursprüngliche Position gebracht. Die beschädigte Bandscheibe wird entfernt und der Zwischenwirbelraum durch einen sogenannten Cage, meist auch aus Titan, wiederhergestellt. Das im Rahmen der Prozedur entfernte körpereigene Knochengewebe wird im Zwischenwirbelraum eingebracht und seitlich angelagert, um eine knöcherne Fusion zu erreichen.

Abschließend wird das Bewegungssegment über das Schrauben-Stab-System komprimiert, sodass sich der Cage fest verblockt und das Segmentgefüge optimal wiederhergestellt wird.

Die/der Patient:in kann nach der Operation direkt aufstehen. Nach einer Schonphase von sechs bis acht Wochen werden physiotherapeutische Maßnahmen zur Rumpfstabilisierung eingeleitet. Aufrechtes Sitzen sollte in den ersten Wochen auf eine Stunde beschränkt werden.

Zudem sollte darauf geachtet werden, nicht tief zu sitzen. Konkret heißt das: Die Oberschenkel sollten leicht abfallend und die Knie im Sitzen nie höher als das Gesäß sein. Eine halbsitzende/ -liegende Position kann ohne zeitliche Beschränkung eingenommen werden.

Ergometertraining, Schwimmen und Wassergymnastik sind nach zwei, Radfahren nach vier Monaten wieder möglich. Je nach Alter ist nach sechs bis zwölf Monaten von einer weitgehend wiedergestellten Belastungsfähigkeit der Wirbelsäule auszugehen. Beinahe sämtliche sportliche Aktivitäten können ein Jahr nach der Operation wieder ausgeübt werden.

 

Pars-/ Isthmus-Repair

Bei jungen Patient:innen mit einer Spondylolyse mit intakter Bandscheibe und einem maximal erstgradigen Wirbelgleiten, bei denen die konservative Behandlung versagt, besteht die Option der Pars-/ Isthmus-Repair.

Dabei handelt es sich um eine Reparatur des geschädigten Übergangs zwischen Wirbelbogen und -körper, die ohne Versteifung des Bewegungssegments auskommt. Auf beiden Seiten wird nach Entfernung des Bindegewebes im Lysespalt, Anfrischung des Knochens und Einpflanzung eines Knochentransplantats (meist vom eigenen Beckenkamm) eine Zugschraube eingebracht.

Nach dem Eingriff ist für drei bis sechs Monate ein Korsett erforderlich.

 

Degenerative Spondylolisthese

Bei dieser Form, die nicht den jungen, sondern alten Menschen betrifft, reicht die operative Behandlung von rein mikrochirurgischen Eingriffen zur Erweiterung des Wirbelkanals über zusätzliche dynamische/ semirigide Stabilisierungstechniken bis hin zur Repositionsspondylodese.

Die Patient:innen scheinen hinsichtlich des klinischen Ergebnisses von einer stabilisierenden Operation mehr zu profitieren als von einer alleinigen Wirbelkanalerweiterung.

Helios Klinik Lengerich

Chefarzt Wirbelsäulenchirurgie, Facharzt für Orthopädie

Entscheidend für eine möglichst erfolgreiche konservative Behandlung sind Disziplin und Konsequenz in Bezug auf rückengerechtes Verhalten und Gewichtskontrolle.

Wirbelgleiten: Wie sind Krankheitsverlauf und Prognose?

Nicht selten stellt eine Spondylolyse einen Zufallsbefund dar. Relevante Beschwerden bestehen zunächst nicht. Ein frühes Erkennen ist günstig in Hinblick auf präventive Maßnahmen.

Im Falle einer symptomatischen Spondylolyse beziehungsweise Spondylolisthese können adäquate konservative Therapieverfahren eine deutliche Linderung der Beschwerden, vor allem des Rückenschmerzes, bewirken. Entscheidend für einen günstigen Verlauf ohne Operation ist nicht zuletzt das persönliche Engagement der Patient:innen in Hinblick auf rumpfstabilisierende Maßnahmen und konsequentes, rückengerechtes Verhalten, was im Alltag jedoch nicht immer praktikabel ist.

Körperlich herausfordernde berufliche Tätigkeiten sollten unterbleiben, ebenso wie die Einnahme längerer Zwangshaltung, wie ununterbrochenes Sitzen oder Stehen mit nach vorne gebeugtem Oberkörper. Nicht unerwähnt bleiben soll der erhebliche Einfluss des Körpergewichts auf den Verlauf.

Die Prognose betreffend ungünstige Faktoren sind:

  • Angeborene/ anlagebedingte Form
  • Spondylolisthese im Segment L4/L5 (4. und 5. Lendenwirbel)
  • Gleitgrad > 20 Prozent
  • Zunehmende Wirbelkörperverformung und
  • Vorne zu- und hinten aufklaffender Bandscheibenraum

 

Die operative Therapie ist standardisiert und in der Lage, sehr gute langfristige Ergebnisse zu erzeugen. Die meisten Patient:innen erfahren nach der Operation rasch eine deutliche Abnahme ihrer Beschwerden. Sie können ein ganz normales Alltagsleben ohne relevante Einschränkungen führen und Sport treiben.

 

Übungen bei Wirbelgleiten

Es bieten sich rumpfstabilisierende Übungen und auch bestimmte Sportarten an. Dazu zählen:

  • gezieltes Krafttraining
  • Schwimmen
  • Rudern
  • Radfahren
  • Nordic Walking
  • Yoga
  • Pilates

 

„Entscheidend für eine möglichst erfolgreiche konservative Behandlung sind Disziplin und Konsequenz in Bezug auf rückengerechtes Verhalten und Gewichtskontrolle. Risikosportarten, also eben jene, die mit ständigen Überstreckungs-, Beuge- und Rotationsbelastungen der Wirbelsäule einhergehen, sollten nach Möglichkeit vermieden beziehungsweise nur beschwerdeadaptiert betrieben werden“, so Dr. Thomas Lerner.

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