Dr. Michael Fendler, Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie in der Helios Manus Klinik, behandelt seit über 30 Jahren Patientinnen und Patienten mit Verletzungen und Erkrankungen der Hände. In diesem Interview berichtet er über Ursachen, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten des Karpaltunnelsyndroms, das Missempfindungen, Schmerzen sowie Funktionsstörungen verursacht und die Beweglichkeit der Hand erheblich einschränkt.
Was ist das Karpaltunnelsyndrom?
Der Karpaltunnel, auch Handwurzelkanal genannt, dient als Durchgang zwischen Hand und Unterarm. Durch ihn laufen der Mittelnerv, der Ellennerv, Blutgefäße, sowie insgesamt elf Beugesehnen, die für die Bewegungsfähigkeit der Hand verantwortlich sind. Wenn dieser Durchgang verengt ist und Druck auf den Mittelnerv (Nervus medianus) entsteht, wird er eingeklemmt und die Nervenleitung gestört. Der Druck löst Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Fingern aus. Wird der Nerv über sehr lange Zeit gequetscht, erholt er sich nicht mehr. Dann bleiben die Finger für immer gefühllos. Oft entsteht das Syndrom durch eine übermäßige Beanspruchung oder eine fehlerhafte Belastung der Hand. Auch Vorerkrankungen, wie Rheuma oder Diabetes mellitus und hormonelle Veränderungen, wie Schwangerschaften oder die Wechseljahre, können die Entstehung des Syndroms begünstigen.
Welche Symptome treten beim Karpaltunnelsyndrom auf?
Diese Symptome treten vermehrt nachts auf, da viele Menschen die Hände beim Schlafen anwinkeln, was die Durchblutung beeinträchtig. Aber auch tagsüber kommen diese Beschwerden oft bei bestimmten Tätigkeiten, wie Fahrradfahren, Autofahren, Zeitunglesen oder Halten eines Telefons vor. Oft sind nur einzelne Finger betroffen, mit Ausnahme des kleinen Fingers, da dieser von einem anderen Nerv versorgt wird. Auftretende Schmerzen können bis in den Arm ausdehnen. Schreitet die Krankheit weiter fort, führt das zu Ausfallerscheinungen und tauben Fingern, besonders der Daumen wird zunehmend kraftloser. Die Daumenballenmuskulatur bildet sich deutlich zurück. Handarbeiten und das Aufdrehen einer Flasche sind in diesem Stadium bereits eine Herausforderung.
Wer ist häufig vom Karpaltunnelsyndrom betroffen?
Meist tritt das Karpaltunnelsyndrom zwischen 40 und 70 Jahren auf, Frauen erkranken dabei deutlich öfter als Männer. Auch Menschen, die körperliche Tätigkeiten ausführen, sind drei- bis siebenmal häufiger betroffen, vor allem, wenn sie Maschinen mit starker Vibration bedienen, wie zum Beispiel einen Presslufthammer.
Wie wird das Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert?
Zunächst werden die Finger und die Hand untersucht. Dabei wird geprüft, wie beweglich und empfindlich diese sind und ob Gefühlsstörungen und Missempfindungen auftreten. Ganz typisch sind insbesondere nächtliche Schmerzen und ein Kribbeln bzw. Taubheitsgefühl in Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger. Des Weiteren werden typischerweise elektrophysiologische Untersuchungen bei einem Neurologen veranlasst. Diese messen, wie gut Nerven elektrische Pulse weiterleiten und ob die Funktion eingeschränkt ist. So kann man die Diagnose sichern und andere Krankheitsursachen (z.B. Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule) ausschließen.
Wann muss operiert werden?
Eine Operation ist ratsam, wenn Beschwerden wie Taubheitsgefühl, schmerzhafte Missempfindungen in den Fingern und das Nachlassen der Kraft im Daumen anhaltend sind. Der Eingriff wird ambulant, meist mit örtlicher Betäubung (sogenannter Arm-Plexus) durchgeführt und dauert ungefähr 15 bis 20 Minuten. Der behandelnde Arzt durchtrennt das Karpalband über dem Karpaltunnel, um so den Druck auf den Mittelnerv im Tunnel zu verringern. Außerdem wird das Gewebe entfernt, welches den Nerv einengt. Viele Beschwerden, wie Schmerzen und Taubheitsgefühl in der Nacht bessern sich quasi sofort nach dem Eingriff.
Wie sind die Heilungschancen?
Bei einer frühzeitigen Diagnose und einer präzise durchgeführten Operation bestehen gute Heilungsaussichten. Nach der Operation sinkt der Druck im Karpaltunnel sofort, was zu einer raschen Linderung der Beschwerden innerhalb weniger Tage bis Wochen führt. Bei einer ausgeprägten Nervenschädigung kann es allerdings ein paar Monate dauern, bis die Symptome weitgehend verschwunden sind. In Fällen, wo die Erkrankung bereits seit vielen Jahren oder Jahrzehnten besteht, kann es sein, dass sich der Nerv nicht mehr erholt. Um die Heilung und Wiederherstellung der ursprünglichen Bewegungsfunktionen zu fördern, sollten bereits einen Tag nach dem Eingriff Fingerbewegungsübungen durchgeführt werden. Ein früher Beginn der Übungen trägt dazu bei, dass die Finger schneller ihre Beweglichkeit zurückgewinnen. Die Hand darf allerdings während der ersten zwei bis drei Wochen nicht belastet werden. Körperlich sehr schwere Tätigkeiten sollten erst nach sechs Wochen wiederaufgenommen werden. Leichte Tätigkeiten können nach ca. zwei Wochen wieder durchgeführt werden. Das Tragen oder Heben von Gegenständen, die schwerer als drei Kilo sind, sollte unbedingt vermieden werden, da das zu Schmerzen und Schwellungen führen kann.
Wie kann man einem Karpaltunnelsyndrom vorbeugen?
Um das Risiko für eine Erkrankung durch Überbelastung zu minimieren bzw. das Fortschreiten zu verlangsamen, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Auf die richtige Haltung kommt es an: Es ist vor allem wichtig beim Schlafen, Arbeiten und beim Sport eine neutrale Handposition beizubehalten. Dabei kann ein Gelenkschoner aus der Apotheke helfen. Wer viel am Computer arbeitet, sollte darauf achten, dass der Schreibtischstuhl so eingestellt ist, dass die Unterarme beim Sitzen auf einer Linie mit der Tastatur liegen. Um die Gelenke bei der Mausbedienung zu schonen, hilft die Anschaffung einer Handballenauflage. Bei Tätigkeiten, die das Handgelenk anhaltend und wiederkehrend stark belasten, sollten ausreichend Pausen eingelegt werden, um die Handgelenke zu dehnen und auszuschütteln. Bei längeren Telefonaten einfach mal zwischendurch die Hände wechseln. Vorsicht vor Vibrationen: Elektrische Geräte wie Bohrer sollten mit schwingungsdämpfenden Griffen ausgestattet sein. Wer viel Fahrrad oder Motorrad fährt, sollte auf eine ergonomische Ausrüstung achten, die die richtige Stellung des Handgelenks fördert und Vibrationen dämpft.