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Dem inneren Brandstifter Handschellen anlegen

Steife Gelenke, Schwellungen und Schmerzen: Rund 1,8 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer rheumatischen Erkrankung – Tendenz steigend. Eine davon ist Nadja Engels aus Olpe. Viel Bewegung ist ihre Formel für ein (fast) normales Leben.

15. Oktober 2024

 „Stellen Sie sich vor, bei jedem Schritt würden Sie von Gummibändern wie in einem schlechten Traum nach hinten gezogen und haben das Gefühl, gar nicht von der Stelle zu kommen – und das andauernd“. Nadja Engels (45) ist niemand, der sich schnell unterkriegen lässt. Die Mutter eines Teenager-Sohnes reitet gerne und stärkt regelmäßig im Fitness-Studio ihre Muskulatur. Wenn sie jedoch in unregelmäßigen Abständen wieder ein Schub ereilt, geht gar nichts mehr. Frau Engels leidet schon ihr halbes Leben lang an Polyarthritis. Bei dieser rheumatischen Erkrankung sind gleichzeitig fünf oder mehr Gelenke betroffen. Ist der gefürchtete Schub da, werden die Schmerzen unerträglich. „Dann ist nicht mal an Brote schmieren zu denken, an Gehen schon mal gar nicht.“

Das Schmerzfeuer löschen

Dr. Daniela Mettal-Minski behandelt Nadja Engels seit acht Jahren. Die erfahrene Rheumatologin praktiziert an der Helios Klinik Attendorn und weiß genau, was ihre Patientin im Notfall dringend benötigt. „Als Akutbehandlung injiziere ich ihr dann ein Cortison-Präparat direkt in das Gelenk oder die schmerzende Sehne. Dann ist das Schmerzfeuer erstmal gelöscht. Langjährige praktische Erfahrung ist dabei von Vorteil, weil die Technik anspruchsvoll ist und keine weiteren Erreger in den Körper gelangen dürfen. Aber damit habe ich dem eigentlichen, dem inneren Brandstifter noch keine Handschellen angelegt, der überall Feuer legt“, sagt Dr. Mettal-Minski. Das Cortison sei lediglich die Feuerwehr, die einen Brand löscht, aber der Brandstifter, losgeschickt vom körpereigenen Immunsystem, der laufe typischerweise dann immer noch frei herum, so die Fachmedizinerin. Den könne man nur durch eine Langzeittherapie fassen, die oft ein Leben lang dauert.

Rheuma ist ein Sammelbegriff für über hundert verschiedene Erkrankungen, die den Bewegungsapparat, also Gelenke, Knochen, Muskeln, Sehnen und das Bindegewebe, betreffen. Die häufigsten Formen sind die Arthrose und die rheumatoide Arthritis. Rheuma betrifft Menschen jeden Alters, allerdings nimmt die Häufigkeit mit dem Alter zu. Auch Kinder können an speziellen Formen des Rheumas erkranken, Laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie leiden etwa 2,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland an einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Dies entspricht etwa der Einwohnerzahl von Hamburg.

Für viele Patientinnen und Patienten sind Spezialisten wie Daniela Mettal-Minski die letzte Hoffnung nach einem langen Leidensweg. Dazu trägt auch bei, dass einer steigenden Zahl von Erkrankten immer weniger Fachärzte gegenüberstehen, die auf das komplexe Krankheitsphänomen Rheuma spezialisiert sind. Die Wartelisten in den Praxen sind auch im Olper Kreisgebiet ang.

Ganzheitlicher Blick erforderlich

Grundlage für eine Therapie ist zum einen die richtige Diagnostik, weil Rheuma-Symptome häufig unspezifisch sind. Ähnlichkeiten mit anderen Krankheiten führen oft zu falschen Behandlungen und verschlimmern die Symptomatik bei Patienten. Wichtig dabei ist der Einsatz der passenden Medikamente in einer angemessenen Dosierung. Zum anderen kommt es auf einen ganzheitlichen Blick an. Denn Rheuma ist eine Systemerkrankung. Das bedeutet, die Entzündungsherde können nicht nur die Gelenke befallen, sondern auch Organe, Nervensystem und viele andere Bereiche des Körpers. Das macht die Behandlung so langwierig und schwierig. Und auch das Thema Heilung: Die allermeisten Krankheitsverläufe sind chronisch. Oft geht es mehr darum, die Folgen der Erkrankung, gerade wenn die Erkrankung schon fortgeschritten ist, abzufedern, beispielsweise durch orthopädische Hilfsmittel oder operative Eingriffe.

Hilfreich ist ein gesunder Lebenswandel mit viel Bewegung. „Früher hat man den Rheumatikern meistens Schonung auferlegt, Kein Sport, kein Krafttraining. Heute sagt man klipp und klar: Wenn die Gelenke intakt sind, hilft eine gestärkte Muskulatur ungemein. Man darf sich nur nicht überlasten und muss individuell die Grenzen ausloten.“ So wie Nadja Engels. So oft es ihre Zeit zulässt, trainiert sie gezielt ihre Muskulatur, reitet ihren Wallach Tango aus und geht mit Ehemann und Labrador Bailey spazieren. Daneben arbeitet die frühere Justizvollzugsbeamtin als Auslieferungsfahrerin für eine Bäckerei.

Bei allem Tatendrang ist ihr nur allzu bewusst, dass das alles keine Selbstverständlichkeit für jemandem mit ihrem Krankheitsbild ist. „Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Behandlung das alles weitgehend in den Griff bekommen habe und mein Leben selbstbestimmt meistern kann, wenn es auch hin und wieder Rückschläge gibt. Deswegen wolle sie anderen Menschen, die Hilfe benötigen auch etwas zurückgeben, so Engels, die seit diesem Wintersemester ein Psychologiestudium absolviert. „Einfach kann jeder. Ich helfe gerne Menschen und mit dem neuen Fachwissen kann ich das noch besser als ohnehin schon.“

Info: Die Deutsche Rheuma-Liga Nordrhein-Westfalen e.V. bietet jeden Dienstag von 11-14 Uhr sowie nach Absprache eine Beratungssprechstunde in der Helios Klinik Attendorn an.

Mehr unter www.rheuma-liga-nrw.de/arbeitsgemeinschaft/olpe.