Es ist kurz vor zehn und Gottfried Brögger nimmt einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse. Der 77-jährige aus Fretter bei Finnentrop schlägt nochmal die Tageszeitung auf und blättert sich durch zum Lokalteil. Als sich die anderen Patienten der Tagesklinik nach und nach einfinden, begrüßt er jeden herzlich. Man kennt sich und kommt gut miteinander aus. Wie auch er werden sie morgens von einem Fahrdienst abgeholt und am Nachmittag wieder nach Hause gebracht. Alle Seniorinnen und Senioren hier eint ein gemeinsames Ziel: Nach einem gesundheitlichen Rückschlag wollen sie sich zuhause wieder zurechtfinden. Eine Betreuerin tritt an die große Tischgruppe heran, erkundigt sich bei jedem nach dem Befinden und macht sich Notizen. Das heutige Therapieprogramm beginnt allmählich. Zwei Wochen lang hat man Zeit, sich nicht nur zu erholen, sondern buchstäblich wieder auf die Beine zu kommen. „Du bist hier wieder wie ein kleines Baby und lernst die einfachsten Dinge nochmal von vorne“, findet Herr Brögger.
Sein Lebenslauf ist alles andere als langweilig. Beruflich startet er als Land- und Forstwirt auf dem Hof der Eltern ins Erwerbsleben, daneben ist die Jugendarbeit seine große Leidenschaft. Das Hobby wird bald Berufung: Mitte der 1970er Jahre zieht er nach Köln und studiert Freizeitpädagogik, betreut Abenteuerspielplätze in der Domstadt. Ein ganz anderes Leben. Irgendwann geht es mit seiner Frau wieder ins Sauerland zurück. Hier leitet er verschiedene Jugendeinrichtungen. Sein soziales Engagement ebbt nicht ab: Während des Jugoslawienkrieges nimmt er Kriegsflüchtlinge bei sich zuhause auf. Als sein väterlicher Hof seine Unterstützung benötigt, hilft er wieder tatkräftig mit, ihn zu erhalten. Inzwischen leitet eines seiner vier Kinder den Betrieb. Und Herr Brögger möchte den wohlverdienten Ruhestand mit seiner Familie und den zwei Enkeln genießen, mit ihnen Wildschweine füttern und ihnen draußen im Wald die Tiere erklären. So seine Vorstellung. Doch die Gesundheit spielt nicht mit.
Nur wenige Tageskliniken in der Region
„Nach einer Herz-OP Ende vergangenen Jahres und noch einer Hüft-OP im Frühsommer war Herr Brögger gesundheitlich stark angeschlagen. Er gehört aber zu denen, die von unserem ganzheitlichen Therapieangebot enorm profitieren.“
Dr. Volker Spartmann ist Leiter sowohl der Geriatrie als auch der geriatrischen Tagesklinik in Attendorn. In der Einrichtung Tagesklinik sieht der Fachmann für Altersmedizin viele Vorteile, gerade für ältere Menschen, die kognitiv noch belastbar und nicht schwersterkrankt sind. Leider
gibt es für diese Gruppe im ländlichen Raum nur sehr wenige Behandlungsmöglichkeiten wie in Attendorn und er fügt an, dass es im Umkreis von 50 Kilometern nur drei weitere Einrichtungen dieser Art gebe. Dabei sind sie besonders effektiv. Eine geriatrische Tagesklinik vereint medizinische Versorgung, Therapie und soziale Unterstützung, um die Gesundheit, Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten zu fördern, während sie gleichzeitig in ihrer vertrauten Umgebung ohne vollstationären Klinikaufenthalt leben können. „Bei rund 90 Prozent unserer Patienten verzeichnen wir nach dem Aufenthalt Verbesserungen des gesundheitlichen Zustands“, so Dr. Spartmann.
Umso wichtiger ist es, solche Angebote überhaupt vor Ort bereithalten zu können. Das sieht auch Attendorns Bürgermeister Christian Pospischil so: „In Zeiten einer älter werdenden Gesellschaft ist es wichtig, dass die Helios Klinik mit der geriatrischen Tagesklinik in Attendorn ein bedarfsgerechtes und kompetentes Angebot für ältere Menschen vorhält. „Und ich freue mich sehr, dass gerade die Menschen in Attendorn und Umgebung davon profitieren.“
Selbstverständlich ist das nicht. Eine Strukturerhebung des Bundesverbandes Geriatrie über die gesamte Versorgungssituation mit Kliniken für Geriatrie belegt, dass die Anzahl verfügbarer geriatrischer Betten sowohl hinsichtlich der Gesamtkapazitäten in den einzelnen Bundesländern als auch auf Kreisebene im Durchschnitt nicht ausreichend ist, um den geriatriespezifischen Versorgungsbedarf vollumfänglich abzudecken. Insbesondere im ländlichen Raum seien teilstationäre Versorgungsangebote zum Teil nur schwer zu realisieren, was auch für die Geriatrie zuträfe, so Geschäftsführer Dirk van den Heuvel.
Ganzheitliche Therapie tagsüber und abends wieder zuhause
„Wir bieten eine Rund-um-Betreuung und Behandlung über den Tag hinweg, ohne dass diese dauerhaft in einem Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung bleiben müssen“, erklärt Chefarzt Dr. Spartmann den multidisziplinären Ansatz, den die Helios Klinik Attendorn dabei verfolgt.
Ziel sei es bei den meisten Patienten, eine Pflegebedürftigkeit möglichst lange hinauszuschieben oder ganz zu verhindern, fügt Dr. Lakshman Manoranjan, Oberarzt der Geriatrie am Attendorner Krankenhaus, an. Viele hätten ihr Leben lang nie mit Ärzten zu tun gehabt, und plötzlich werfe sie ein Schlaganfall oder ein Sturz komplett aus der Bahn, so Manoranjan. Um ihnen wieder zurück in einen Alltag in den eigenen vier Wänden zu verhelfen, gebe es eine engmaschige Begleitung durch Fachmediziner, die täglich die Patienten aufsuchen und so eine altersgerechte Diagnostik und Therapie erarbeiten könnten. Aber auch die sozialen Kontakte zum Personal und den anderen Patienten seien eine positive Begleiterscheinung. „Viele, die zu uns kommen, haben im Alltag nur noch sehr wenige Kontakte. Das Miteinander bei uns und die Beschäftigung geben ihnen wieder einen richtigen Schub“, sagt Manoranjan.
Für Gottfried Brögger bedeutet das eine Kombination aus Ergo- und Physiotherapie sowohl einzeln als auch in der Gruppe. Kraftübungen im klinikeigenen „Fitnessstudio“ am Kabelzug oder mit kleinen Gewichten stärken die Muskulatur und erhöhen wieder die Ausdauer und Beweglichkeit. Aber auch die Feinmotorik kommt nicht zu kurz, denn auch Flechten oder Bastelarbeiten sind Bestandteil des ergotherapeutischen Programmteils.
Er kann dank des zweiwöchigen Aufenthalts nach seiner Hüft-OP seinen Gesundheitszustand wesentlich verbessern. „Die ganze Mühe hat sich gelohnt“, so der Großvater zweier Enkelkinder. Er freue sich nun darauf, wieder mit den beiden im Wald zu spazieren, ohne Angst haben zu müssen, nicht mehr mithalten zu können.