Herr Dr. Kemmerling, Sie sind in diesem Jahr Präsident des Deutschen Rheumatologiekongresses, der vom 18. bis 21. September 2024 in Düsseldorf stattfindet. Wie ist dieses Amt einzuordnen?
Bereits vor zwei Jahren wurde ich von meiner Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Rheumatologie (DGORh), für diese Position vorgeschlagen und gewählt. Dort bin ich seit über 20 Jahren Mitglied und sowohl im Vorstand als auch im Beirat aktiv. Ich empfand die Ernennung daher als große Auszeichnung und Wertschätzung meiner langjährigen Arbeit. Neben meiner chefärztlichen, klinischen Tätigkeit in der Helios Klinik Attendorn lag mein besonderes Interesse auch immer in der aktiven Mitarbeit in unseren Fachgesellschaften. Dazu gehört natürlich der wissenschaftliche Austausch bei Kongressen, Symposien und Fachtagungen, auf denen ich regelmäßig mit Vorträgen und auch in wissenschaftlichen Sitzungen vertreten bin. Dabei spielt auch das Thema der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung eine Rolle.
Welche Aufgaben erwarten einen Kongresspräsidenten?
Der Kongress wird insgesamt von drei Fachgesellschaften durchgeführt. Das sind die internistische Rheumatologie, die Kinder-Rheumatologie und die Orthopädische Rheumatologie. Jede dieser Fachgesellschaften stellt einen Präsidenten. Bereits unmittelbar nach Beendigung des letztjährigen Kongresses 2023 in Leipzig fanden die ersten Sitzungen für die Erstellung des Kongressprogrammes für Düsseldorf 2024 statt. Dabei werden wir von der Rheumaakademie unterstützt, die monatlich in digitalen Konferenzen mit uns bis ins letzte Detail alles um unseren Kongress organisiert. Zusammengefasst: Damit ist viel Arbeit verbunden.
Welche Themen und Schwerpunkte beinhaltet der Kongress?
Über vier Tage finden in circa 60 wissenschaftlichen Sitzungen rund 300 Vorträge statt, die von der Gutachterkommission und abschließend von den Präsidenten aus den eingereichten Abstracts ausgewählt werden. Hinzu kommt die Eröffnungsveranstaltung, unter anderem mit Grußworten aus Politik, öffentlichem Leben, einer Festrede sowie die Verleihung von Wissenschaftspreise unter anderem für die beste Arbeit auf dem Gebiet der orthopädischen Rheumatologie. Die Schwerpunkt-Themen des Kongresses in Düsseldorf sind neue immunologische Therapien, künstliche Intelligenz, neue Medien sowie der Komplex Klima und Gesundheit.
Und worauf freuen Sie sich besonders?
Sicherlich ist das der Kontakt und der intensive Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Besonders aber freue ich mich bei dem Kongress immer wieder über das große Engagement der Patienten, vertreten durch die Deutsche Rheumaliga, immerhin die größte Selbsthilfeorganisation in unserem Gesundheitswesen seit über 50 Jahren. Diese ist mit zahlreichen Informationsständen und einem „Rheumahaus“ sowie einem Patiententag bei jedem Kongress vertreten, so auch diesmal wieder in Düsseldorf. Die Kongresspräsidenten lassen es sich dabei natürlich nicht nehmen, auch den Patiententag unterstützend mitzugestalten. Für mich ist der Patientenkontakt mit gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung das wichtigste an meiner täglichen Arbeit.
Was ist die Ursache von Rheuma und wo setzt die Behandlung an?
Letztendlich ist die Ursache noch nicht bis ins Detail erforscht. Circa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland erkrankt rheumatisch. Dabei sind Frauen dreimal häufiger betroffen als Männer. Diese Krankheit ist nicht altersspezifisch, sie kann sowohl Kinder und Jugendliche als auch den älteren Menschen betreffen. Daher gibt es auch innerhalb der Rheumatologie entsprechende Spezialisierungen, etwa zum Kinderrheumatologen. Durch die immer besseren Forschungsergebnisse und die Entwicklung neuer Medikamente lässt sich die Erkrankung heute effizienter behandeln. Insgesamt gehören zu der Gruppe der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen über hundert verschiedene Krankheitsbilder, die sowohl Gelenke als auch Gefäße und Bindegewebe befallen können.
Wie sieht die optimale Behandlung des Rheumatikers aus?
Bei einer entsprechenden Verdachtsdiagnose sollte der Patient frühestmöglich einem Rheumatologen zur weiteren diagnostischen Abklärung und Einleitung der Therapie vorgestellt werden. Idealerweise erfolgt die Behandlung interdisziplinär unter Einbindung eines internistischen und orthopädischen Rheumatologen, um Betroffene sowohl konservativ als auch operativ umfassend zu begleiten und zu versorgen. Ich habe daher bereits zu Beginn meiner Tätigkeit in Attendorn dafür Sorge getragen, dass auch eine rheumatologische Abteilung in unserem Krankenhaus etabliert wurde. Ebenso wie eine fachgebundene Physiotherapie, Ergotherapie und natürlich auch das Büro der Rheumaliga. Alle Disziplinen zusammen ermöglichen eine optimale Beratung und Versorgung des Rheumapatienten.
Was würden Sie sich für die Rheumaversorgung in Deutschland noch wünschen?
Im internationalen Vergleich sind wir in Deutschland in der rheumatologischen Versorgung auf einem guten Niveau, allerdings verbunden mit zum Teil langen Wartezeiten. Das Problem sind die fehlenden Kapazitäten bei den rheumatologisch ausgebildeten Fachärzten, Facharztpraxen und Kliniken. Bereits im Studium und später in der Facharztausbildung sollte daher den jungen Ärzten das Fach Rheumatologie in all seinen Facetten nahegebracht werden. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Auch ich kam erst im Rahmen meiner Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie mit dem Schwerpunkt der Rheumaorthopädie in Kontakt. Eine flächendeckende Versorgung, frühzeitige Patientenvorstellung und Therapieeinleitung basiert natürlich auf einer ausreichenden Anzahl an rheumatologischen Praxen und Kliniken, damit eine frühzeitige Patientenvorstellung und Therapie ohne lange Wartezeiten möglich ist.
Warum ist die Rheumatologie für Sie persönlich immer Ihr Steckenpferd geblieben?
In den letzten 30 Jahren hat sich die Rheumatologie sehr erfolgreich weiterentwickelt. Die medikamentöse Behandlung kann die rheumatische Erkrankung vielfach lange unterdrücken und den entzündlichen rheumatischen Gelenkverschleiß hinauszögern. Dennoch ist die rheuma-orthopädische Behandlung der betroffenen Patienten wichtig. Hier kann begleitend zunächst konservativ – und wenn nötig – auch operativ die Situation des Patienten sinnvoll unterstützt und damit die Lebensqualität des Patienten deutlich verbessert werden. Das ist bei meiner Arbeit auch nach über drei Jahrzehnten das Wichtigste für mich.