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Spontane Koronardissektion: Kollaps nach dem Zieleinlauf

Eigentlich hatte Eva Brodkorb alles richtiggemacht vor dem Attendorner Citylauf Ende Mai. Die Berufsschullehrerin ist sportlich, läuft regelmäßig drei bis viermal pro Woche und stärkt ihre Kraftausdauer in einem Fitness-Studio. Spaziergänge mit dem Labrator-Retriever Akiro gehören zur täglichen Routine. 

15. Juli 2024

Während zwei Freiwochen vor dem Startschuss bereitet sie sich mit moderatem Training gewissenhaft auf ihre erste Teilnahme an einem Wettlauf überhaupt vor. Sie lässt sich sogar in einer spezialisierten Sportklinik untersuchen, die ihr eine absolute Fitness- und Wettkampftauglichkeit attestiert. Ein Leben ohne Bewegung kann sich die athletische 56-Jährige nicht vorstellen. „Ich bin kein Mensch, der ruhig sitzen kann. Den Sport brauche ich für meinen inneren Ausgleich“, sagt Brodkorb über sich selbst.

Kollaps nach dem Zieleinlauf

28,59 Minuten benötigt sie für die 5.000-Meter-Strecke entlang des Stadtwalls. Das Höhenprofil ist moderat mit nur wenigen leichten Steigungen. Trotzdem fühlt es für die durchtrainierte Frau so an, als ginge es nur steil bergauf. Schon kurz nach dem Start ist alles ungewohnt und anders als sonst. „Die Temperatur war an diesem Tag lange kühl, zum Nachmittag wurde es aber plötzlich warm. Und dann das Gedränge und Geschiebe am Start. Das hatte ich so nicht erwartet.“ Circa 200 Läufer aller Alters- und Leistungsklassen, von ambitioniert bis Anfänger, versuchen für sich gleich eine ideale Position in der Masse zu finden. Rücksicht? Fehlanzeige. Eva Brodkorb wird von allen Seiten geschoben, spürt Fußtritte an ihren Knöcheln, Schubser im Rücken. Sie beginnt sich sehr unwohl zu fühlen, denkt kurz darüber nach, einfach aufzuhören. Aber der Ehrgeiz ist stärker. Sie schwimmt weiter mit im Getümmel. Das Ziel erreicht sie, aber der Preis ist hoch. Sie bricht mit Übelkeit, Brechreiz und Schwindel zusammen. Ihr Sohn ruft einen Notfallsanitäter.

„Zum Glück ging alles ganz schnell und der Rettungswagen brachte sie nach der Erstversorgung gleich zu uns in die Zentrale Notaufnahme. Das EKG war zu diesem Zeitpunkt noch unauffällig. Zunächst bestand der Verdacht, dass Frau Brodkorb sich überlastet und zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen haben könnte, und deshalb der Blutdruck anfänglich so niedrig war. In der Laborkontrolle zeigte sich jedoch der Enzymwert für das Herz unnormal erhöht“, so Dr. Atilla Yilmaz, Chefarzt der Kardiologie an der behandelnden Helios Klinik Attendorn. Dieser Umstand ließ den erfahrenen Herzmediziner hellhörig werden. Zur Absicherung führt er eine Herzkatheter-Untersuchung durch. 

Diese brachte einen kleinen Einriss der Herzkranzgefäßinnenhaut ans Tageslicht. „Dieser Riss führte bei Frau Brodkorb zu einer Durchblutungsstörung des Herzmuskels und in der Folge zu einem Herzinfarkt“, erklärt Dr. Yilmaz. Wie ist das zu erklären? „Bei sportlicher Belastung kommt es zu einer mehr als vierfach erhöhten Koronardurchblutung. Das erzeugt enormen Druck auf die Gefäßwand, die diesem an prädisponierten Stellen nicht immer standhält und einreißen kann. In diesen Fällen kann es, wie bei unserer Patientin zu einer Koronarverengung oder sogar zu einem Koronarverschluss und daraus resultierend zu einem Herzinfarkt kommen

Zum Glück für Frau Brodkorb wird das Problem schnell erkannt und der Einriss mit einem sogenannten Koronarstent versorgt. Die ganze Prozedur dauert kaum 30 Minuten, die Beschwerden sind danach verschwunden. Am Folgetag zeigt sich im Herz-Ultraschall keine Schädigung des Herzmuskels.

„Wann kann ich weitertrainieren?“ So lautet ihre erste Frage nach dem kardialen Eingriff. Die gute Nachricht: Bereits eine Woche nach dem Abheilen der Punktionsstelle am Handgelenk ist ein moderates Training wieder möglich.

Wettbewerb erzeugt mentalen Druck

Eine durchtrainierte Person und dann so ein Kollaps? Wie passt das zusammen? Für Dr. Yilmaz ist das nichts Ungewöhnliches. „Frau Brodkorb hat sich vorbildlich vorbereitet. Aber solche Zusammenbrüche sind auch bei Breitensport-Events durchaus ein Thema. Das liegt daran, dass die Rahmenbedingungen und der Druck bei Wettbewerben ganz andere sind, als wenn man nach Feierabend mit dem Hund durch den Wald joggt“, so Yilmaz.

Er betont zwar, dass Sport grundsätzlich gesund und eine gute Sache sei, regelmäßige Bewegung auch das Risiko einer koronaren Herzkrankheit verringere. Die Wettbewerbssituation unterscheide sich davon jedoch erheblich. „Die Teilnahme kann selbst bei fitten, aber unerfahrenen Läufern Stress auslösen, was sich dann wiederum auf die körperliche Konstitution auswirkt.“

Belege dafür gibt es zuhauf. Je nach Untersuchung sterben sogar zwischen 0,7 und drei Menschen auf 100.000 Sporttreibende pro Jahr in Deutschland*. Besonders betroffen sind Sportarten wie Triathlon, Fußball oder Laufen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist zum Beispiel der dänische Fußballer Christian Eriksen. Die Bilder seines Zusammenbruchs und der anschließenden erfolgreichen Wiederbelebung bei einem EM-Spiel gegen Finnland gingen im Jahr 2021 um die Welt.

*Quelle: Deutsche Herzstiftung

So schlimm trifft es Eva Brodkorb nicht. Nach zwei Tagen stationärer Behandlung kann sie das Krankenhaus wieder verlassen. Da Diagnose und Behandlung zeitnah und zielgenau erfolgten, sind keine bleibenden Einschränkungen zu erwarten. Aber das Kapitel Wettkampf hat sie für sich abgeschlossen. „Das mache ich nie wieder“, ist sie sich ganz sicher, und schiebt hinterher: „Jeder sollte gut auf seinen Körper hören und sich vorab hinterfragen, ob er unter den Wettkampfbedingungen, die selbst auf Freizeit-Level schon extrem sein können, funktioniert.

Fazit: Sport ist immer, für jeden und überall per se gesund? Kommt darauf an. Wer – auch als trainierter Sportler – erstmals in einem Wettkampf seine Kräfte mit der Konkurrenz misst, sollte sich über die besondere Situation im Klaren sein. Und darüber, was diese für die Herzgesundheit bedeuten kann.