Die kleinsten Assistenten der Schmerzmedizin
Oder: Was die Evolution mit moderner Schmerztherapie gemein hat.
Jeder kennt sie und wohl kaum einer findet diese Gefährten auf den ersten Blick sonderlich anziehend. Blutegel. Doch dabei ist ihr Nutzen für uns Menschen im Rahmen einer Schmerztherapie einzigartig.
Blutegeltherapie soll Schmerzblockade durchbrechen
Blutegel haben in der Naturheilkunde seit jeher einen hohen Stellenwert, sie werden seit Jahrhunderten zur Entlastung von Gelenkschwellungen, Furunkeln oder bei Entzündungen eingesetzt. In der Medizin kommen sie unter anderem in der Behandlung chronischer Schmerzen zum Einsatz. „Wenn ein Patient mit starken Schmerzen da sitzt, vielleicht zusätzlich noch müde durch Schmerzmedikamente ist, dann findet er alleine keinen Weg mehr heraus“, so Dr. Maximiliane Deckart, Chefarzt für Schmerzmedizin im Helios St. Elisabeth-Krankenhaus Bad Kissingen. „Durch die Blutegel kann eine erste Schmerzlinderung erreicht werden, die es ermöglicht, dass der Patient aktiv an der Therapie teilnehmen kann.“
Die Medizin ist im Speichel
Eingesetzt werden die Blutsauger bei Rückenschmerzen oder Schulter-Nacken-Beschwerden, um Verkrampfungen zu lösen und eine bessere Durchblutung zu fördern. Dabei werden im Schnitt fünf Egel auf die betroffenen Körperareale angesetzt. Blutegel sind sensibel für Temperaturunterschiede. Entzündete, schmerzende Areale weisen häufig eine Höhere Temperatur auf. Die Tiere können diese schmerzenden Stellen aufspüren und dort ansetzen. Das Entscheidende dabei ist aber nicht, was der Egel geringfügig an Blut aufnimmt, sondern was er währenddessen in die Blutbahn abgibt. Sein Speichel ist nämlich ein „Wundermittel“. Seine biologisch aktiven Substanzen sind blutverdünnend, schmerzlindernd und entzündungshemmend. Auch die Patienten sind von deren Wirkung überzeugt: „Die Blutegel ziehen die ganze Krankheit aus dem Körper. Einen Tag nach der Behandlung hatte ich keine Schmerzen mehr,“ so eine Patientin. Und Schmerzen während der Behandlung? „Es fühlt sich kurz wie eine Brennnessel an, nach ein paar Minuten merkt man aber bis auf einen leichten Druck gar nichts mehr.“
Wo die Evolution ins Spiel kommt
Der ein oder andere hat möglicherweise schon Blutegel im eigenen Gartenteich entdeckt und fragt sich nun, ob man diese nicht zuhause zur Selbstbehandlung aufsetzen könne. Die Antwort ist ein klares Nein, denn medizinische Blutegel werden speziell gezüchtet und müssen über Wochen in Quarantäne leben. Die Blutegel werden in Ihrem Leben nur einmalig und nur an einem Patienten eingesetzt. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben. Der Gartenteich gibt aber Aufschluss darüber, warum diese unscheinbaren Würmer seit Jahrtausenden überlebt haben und scheinbar mühelos mit der Evolution Schritt halten konnten. Blutegel – anders als ihr Aussehen vermuten lässt – keine Parasiten, sondern Tiere, die eine symbiotische Beziehung, also ein gegenseitiges Nutzungsversprechen, mit einem anderen Lebewesen ein. Kommt zum Beispiel eine Kuh mit einem geschwollenen Huf an eine Wassertränke, dockt ein dort lebender Blutegel an die betroffene Stelle an. Anders als bei Fliegen, die die Kuh als lästig empfindet
und mit dem Schwanz vertreibt, lässt sie es beim Egel zu, denn sie spürt die entlastende
Wirkung. Der Egel wiederum erhält mit dem Blut Nahrung.
Eine perfekte Zusammenarbeit also...
Dank seiner natürlichen Veranlagung ist der Blutegel für die heutige Medizin ein wichtiger Baustein im Rahmen multimodaler Behandlungsansätze geworden. Im Helios St. Elisabeth-Krankenhaus ist die Blutegelbehandlung seit 2017 fester Teil des Therapiekonzeptes. „Rückenschmerzen sind oft sehr quälend und sprechen schlecht auf Medikamente an. Die Wirkung wäre nicht so nachhaltig, wenn danach nicht die neue Bewegungsfreiheit innerhalb der Physio-und Ergotherapie gefestigt werden würde“, so Dr. Deckart. Die Dankbarkeit gegenüber den kleinen Helfern überwiegt hinterher, gegenüber der anfänglichen Irritation, dass ein „Ringelwurm“ am Rücken saugen wird.
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