Ein Brand entfacht sich oftmals in Sekundenschnelle, breitet sich noch rasanter aus und bringt Menschen in Lebensgefahr. So auch die damals dreijährige Victoria in ihrem Heimatdorf in Angola als sie Opfer eines häuslichen Brandes wurde. Sie überlebte den Brand – trug jedoch schwerste Verletzungen am Kopf davon. Einzelne Gesichtspartien konnten auch durch die Erstversorgung in einem angolanischen Krankenhaus nicht mehr gerettet werden. Sie verlor ein Auge sowie ein Ohr und konnte aufgrund der starken Narbenbildung den Mund nicht mehr schließen. „Sie war in Angola äußerst lange im Krankenhaus. Normalerweise würde man erwarten, dass die Wunden nach so einer langen Zeit abgeheilt sind, denn der Unfall selbst ist ja schon fast zwei Jahre her. Sie kam dann aber eben doch noch mit chronischen Wunden im Scalp-Bereich, also im Bereich der behaarten Kopfhaut, zu uns“, erinnert sich PD. Dr. med. Oliver Thamm an die Erstaufnahme von Victoria im Helios Klinikum Berlin-Buch. Der Kontakt nach Berlin entstand über das Friedensdorf International, einer in Oberhausen und Dinslaken ansässigen Hilfsinitiative, die verletzte und kranke Kinder wie Victoria aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland bringt und vor Ort die medizinische Versorgung der jungen Patient:innen organisiert. Das Friedensdorf International finanziert sich fast ausschließlich über Spenden – und ist somit auf die Hilfe von und die Kooperation mit medizinischen Facheinrichtungen angewiesen, um das Schicksal der Kinder zum Besseren zu wenden. Im Fall von Victoria entschieden die Geschäftsleitung des Bucher Klinikums und die involvierten Fachabteilungen schnell: Victoria wird pro bono behandelt – und ihre Chance auf eine möglicherweise nicht unbedingt unbeschwerte, aber zumindest schmerzfreie Kindheit somit erhöht.
Victoria verbrachte gleich zwei Aufenthalte im Bucher Klinikum und musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Keine einfache Situation für das kleine Mädchen – schließlich befand sie sich auf einmal in einem fremden Land mit einer fremden Sprache. Eine Betreuerin aus dem Friedensdorf International begleitete sie jedoch durchgehend und übersetzte Erklärungen, beruhigende Worte und Aufmunterungen in ihre Muttersprache Portugiesisch. Ebenso wurde sie in dieser Zeit von vielen Frauen der brasilianischen und angolanischen Gemeinschaft in Berlin besucht und betreut.
An Victorias Behandlung waren schließlich verschiedene Fachabteilungen beteiligt. Unter der Leitung von Oliver Thamm und seinem Team der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie betreuten Victoria auch die Kolleg:innen der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, der Augenheilkunde, der Kinderchirurgie und der Pädiatrie. Notwendig war dies aufgrund der Vielzahl ihrer schweren Verletzungen. Wie der Chirurg erklärt:
Heilung benötigt Zeit
In einer der ersten Operationen wurden die Wunden am Kopf schließlich mit einem Hauttransplantat gedeckt. Nach einigen Wochen der Regeneration erfolgte die Rekonstruktion des Oberlids mit einem Vollhauttransplantat. „Dieser Eingriff war besonders hart für Victoria. Wir mussten das Auge für fünf Tage zunähen, weil das Vollhauttransplantat ansonsten nicht ordentlich einheilen kann. Sie ist also aus der Narkose aufgewacht und konnte auf einmal gar nichts mehr sehen“, erinnert sich PD Dr. med. Oliver Thamm. Als die Naht schließlich wieder geöffnet wurde, beobachteten die Ärzt:innen und das Pflegepersonal allerdings eine tägliche Verbesserung – sowohl von Victorias gesundheitlichem als auch von ihrem seelischen Zustand. Im Rahmen derselben Operation erfolgte auch die Behandlung der Oberlippe. „Wir haben hierbei auch eine Narbenöffnung vorgenommen und ein Hauttransplantat eingebracht, damit sich die Oberlippe wieder besser senken und sie den Mund besser schließen kann“, erklärt der Mediziner und resümiert: „Victoria befindet sich von nun an in einem enormen Gewöhnungsprozess, der über viele Jahre anhalten wird. Sie muss sich mit dem, was ihr widerfahren ist, auseinandersetzen. Aber uns wurde bereits vom Friedensdorf International zugetragen, dass sie ein fröhliches Kind ist und gerne mit den anderen Kindern spielt.“
Ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft
Die Rekonstruktion von Victorias Nase wurde bisher nicht durchgeführt. Da sich ein solcher Eingriff aufgrund verschiedener Faktoren sehr aufwendig und komplex gestalten würde, rät PD Dr. med. Oliver Thamm zu einer Epithese: „Letztendlich würde sie damit am besten klarkommen. Das ist im Prinzip eine Prothese, die auf implantierte Druckknöpfe aufgesetzt wird. Heutzutage sind die Modelle teilweise so gut gestaltet, dass sie kaum auffallen. Aber das ist jetzt der falsche Zeitpunkt, da sie noch wächst.“ Und somit ist der Blick in Victorias Zukunft nun doch ein hoffnungsvoller. „Momentan ist es so, dass sie ihren Zustand vermutlich noch nicht so sehr realisiert. Ihr Aussehen spielt für sie keine große Rolle. Wenn sie älter und selbstständiger wird, wird sich das sicher ändern. Und dann hängt es maßgeblich davon ab, wie ihr Umfeld mit ihr umgeht und darauf reagiert“, sagt der Arzt abschließend. Vergessen werden sein Team, seine Kolleg:innen und er das tapfere kleine Mädchen aus Angola so schnell jedenfalls nicht – und sind froh, ihr dank der durchgeführten Operationen nach all dem erfahrenen Leid wieder mehr Lebensqualität und eine bessere Zukunftsperspektive beschert zu haben.