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„Vermutlich war das Gießkannenprinzip nicht effizient“

Marzia Bonsignore ist Chefärztin für Infektiologie und Krankenhaushygiene an den Helios Kliniken in Duisburg und forscht darüber hinaus seit Jahren vor allem zu Infektionsprävention und Erregerausbreitung. Im Rahmen ihrer Antrittsvorlesung zur Ernennung zur Privatdozentin (PD) in Witten fasste sie wichtige Erkenntnisse zur Effektivität der Corona-Maßnahmen im Krankenhaus zusammen. Ihre Ergebnisse könnten für zukünftige pandemische Ereignisse hilfreich sein.

06. Juni 2024

Auf welcher Datenbasis erfolgten Ihre Forschungen?

Ich konnte dankenswerterweise auf mehr als 62 000 anonymisierte Helios-Datensätze von Corona-Patienten zurückgreifen. Aufgrund dieser enormen Informationsmenge kann man die dazugehörige Auswertung repräsentativ für das gesamte Pandemie-Geschehen in Deutschland nehmen. Ergänzend habe ich zahlreiche Studien, auch aus anderen Ländern, ausgewertet.

Wo lag der Schwerpunkt Ihrer Arbeit und mit welcher These sind Sie gestartet?

Mein Kerngebiet ist die Infektiologie, von hier geht all meine Neugier und somit auch meine Forschung aus. Zugleich bin ich natürlich Krankenhaushygienikerin, sprich mein Fokus liegt auf dem Infektionsgeschehen in Kliniken, denn das ist der Bereich, mit dem ich auch im Alltag zu tun habe. In meiner Forschung wollte ich daher vor allem die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen gegen SARS-COV-2 innerhalb von Krankenhäusern untersuchen. 

Zu Beginn der Pandemie lagen ja keine Daten zur Infektionsprävention vor. Die Maßnahmen haben wir aus theoretischen Überlegungen zu Infektionswegen sowie aus den Daten zu MERS und der vorherigen Erregervariante (SARS-CoV-1) abgeleitet. Mittlerweile ist die Datenlage deutlich besser, auch aus randomisiert-kontrollierten Studien, und die Frage war daher: Was war sinnvoll? Und was vielleicht nicht?

Was haben Sie entdeckt?

Eine Maske zu tragen war eine der Hauptmaßnahmen zur Verhinderung von Infektionen. Nachdem in den ersten Monaten der Pandemie deutlich wurde, dass neben Tröpfchen auch Aerosole, also kleinste Luftteilchen, eine wesentliche Rolle bei der Übertragung spielten, kamen zur Prävention die FFP2-Masken ins Spiel. Interessanterweise konnte aber keine der während Pandemie durchgeführten Studien belegen, dass Menschen, die eine FFP2-Masken nutzen, sich seltener infizieren als solche, die einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) tragen. Die gesamte Arbeitszeit mit einer FFP-2 Maske zu verbringen, auch bei patientenfernen Tätigkeiten, hat die Mitarbeitenden belastet und vermutlich nicht mehr Infektionen verhindert. Dem folgen auch neuere Empfehlungen wie die der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), die bei der Versorgung von infizierten Patienten bis auf bei wenigen Tätigkeiten einen Mund-Nasen-Schutz oder(!) eine FFP-2 Maske empfehlen.

Eine weitere Maßnahme waren Kontaktbeschränkungen wie Besucherstopps im Krankenhaus. Hier gibt es keine vergleichenden Daten, da im Prinzip in allen Kliniken mehr oder weniger die gleichen Einschränkungen galten. Aber wozu es mittlerweile viele Untersuchungen gibt, ist der Preis, den die Patienten dafür bezahlt haben: Verstärkung von Symptomen wie Schmerzen, Delir und Unruhe – besonders bei älteren Patienten. Dazu vermehrt Depressionen, Aggressionen und reduzierte Nahrungsaufnahme.

Welche Erkenntnisse konnten Sie zum Thema Screening gewinnen?

Wir haben ja während der Pandemie alle Mitarbeitenden mehrmals wöchentlich und symptomlose Patienten vor Aufnahme gescreent. Letztere dann zusätzlich während des Aufenthaltes und insbesondere vor Operationen. Auch hier kam wieder die vielzitierte Gießkanne zum Einsatz, weil es sich vermeintlich sicherer anfühlte und Daten zur Wirksamkeit fehlten. Ziel war, die Patienten, die ja ein bis zwei Tage vor Symptombeginn die höchste Infektiosität aufweisen, herauszufiltern und zu isolieren. Doch hier hat uns das Virus oft einen Streich gespielt, denn wir wussten zwar, in welcher Phase es am ansteckendsten ist, konnten aber anhand der Tests nicht sehen, in welcher sich der Patient oder auch Mitarbeiter überhaupt befand. Jemand, der grad noch negativ war, konnte Stunden später ansteckend sein. Studien haben mittlerweile gezeigt, dass auch in Zeiten hoher Inzidenzen das massenweise Screening nur sehr wenige Patienten entdeckt hat, die kurz vor Beginn der Erkrankung standen. Auch hier hat Quantität keinen Vorteil gebracht, oder nur einen so geringen, dass -im Nachhinein gesehen - Aufwand, Kosten und Zeit nicht gerechtfertigt waren.

Welches Fazit ziehen Sie vereinfacht aus Ihrer Arbeit?

Vermutlich war das Gießkannenprinzip nicht effizient. Und dass man bei allen Präventionsmaßnahmen stets Nutzen und möglichen Schaden abwägen und sie kontinuierlich neuen Forschungsergebnissen anpassen muss. Wir sind ja zu Beginn der Pandemie davon ausgegangen, dass wir Ausbrüche in Kliniken vollständig verhindern können, wenn wir nur ausreichend Maßnahmen ergreifen. Aber es hat gezeigt, dass wir nosokomiale Corona-Übertragungen, also Infektionen, die sich Patienten im Krankenhaus zuziehen, nicht vollständig verhindern können, unter anderem, weil Betroffene manchmal innerhalb von sehr kurzer Zeit infektiös werden. Von den erwähnten 62.000 SARS-COV-2-Patienten bei Helios hatten sich rund 11 Prozent im Krankenhaus infiziert. Daten aus anderen Ländern kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Wir haben die Maßnahmen nicht zuletzt aufgrund gesetzlicher Vorgaben noch lange weitergeführt, obwohl die Daten bereits Hinweise lieferten, dass Verläufe unter Omikron und der zunehmenden Immunisierung milder wurden.  Anstatt also mit der vielzitierten Gießkanne zu arbeiten, sollten wir bei zukünftig ähnlichen pandemischen Ereignissen gezielter vorgehen und Maßnahmen an das Risiko der Patienten anpassen. Natürlich hängt das auch immer von der Art des Virus ab, aber ist der Übertragungsweg der gleiche, lassen sich deutlich schneller deutlich gezieltere Schritte, etwa für besonders vulnerable Gruppen wie Tumorpatienten ableiten.

bosignore marzia