Einen Termin bei Silvia Kraushaar zu bekommen – nicht ganz einfach. Wie so oft in den vergangenen Wochen hängt sie auch in diesem Moment am Telefon. Gesprächsfragmente lassen erahnen, dass es sich um eine Pflegekraft dreht. Es fallen die Worte Gehalt, Station, Vertrag. Es solle flott gehen, sagt die Frau, deren lockige Frisur so wunderbar zum Nachnamen passt. Dann legt sie auf, schließt die Tür und setzt sich an ihren neuen Schreibtisch. Puh. Durchatmen. Die Pflegedirektorin auf Zeit in den Helios Kliniken am Standort Wehlheiden sammelt sich kurz. So, nun habe sie ein paar Minuten.
Seit Silvia Kraushaar zum 1. August übergangsweise als Nachfolgerin von Claudia Nehrig eingesprungen ist, kennt sie den Begriff Langeweile nicht mehr. „Der Job war vorher schon tagesfüllend, und jetzt erst recht“, sagt die 53-Jährige. Wen wundert’s? Vormittags leitet sie wie gehabt den Pflegedienst in Kaufungen, ab etwa 13 Uhr arbeitet sie in Kassel. In ihrem neuen Büro fühle sie sich ein bisschen wie zu Besuch: „Aber nicht falsch verstehen. Ich bereue die Entscheidung keinesfalls.“ Silvia Kraushaar lächelt. Sie berichtet, dass sie von allen Seiten unterstützt wird, außerdem funktioniert die Zusammenarbeit mit Klinikgeschäftsführer Tobias Hindermann reibungslos. Sie kann jederzeit zu ihm gehen, „wenn mir was auf der Seele brennt“.
Die gebürtige Sauerländerin hat nicht lange überlegen müssen. Vorgängerin Claudia Nehrig sprach sie frühzeitig an, ob sie sich die Aufgabe vorstellen könne. Als dann der Anruf des Klinikgeschäftsführers kam, sei alles ruckzuck gegangen, wie es Kraushaar ausdrückt. Sie fühle sich aber nicht hineingequetscht in die zusätzliche Tätigkeit. Vielmehr sehe sie sich in der Pflicht, für einen guten Übergang zu sorgen. Kraushaar sagt: „Dabei nehme ich mich als Person nicht so wichtig.“ Es gehe um das Haus, sie möchte Beständigkeit reinbringen und eine Stütze für die Stationsleitungen sein. Dafür nimmt sie die aktuell hohe Schlagzahl gern in Kauf.
Silvia Kraushaar strotzt vor positiver Energie. Sie beschreibt sich selbst als jemanden, der anpackt. Humor sei ihre Kraftquelle. Sie sei ein Mensch, der nicht alles auf die Goldwaage legt. In all den Jahren habe sie gelernt, dass „man nicht immer ans Optimum kommt“. Ihr Motto lautet: „Ich will, dass es funktioniert.“ Von der Belegschaft wird die gelernte Krankenschwester geschätzt. Kraushaar begegnet jedem mit Respekt, dabei legt sie Wert auf Feinfühligkeit, sie bezeichnet sich als emotionalen Menschen. Und als gesellig: „Wenn ich allein irgendwo eingesperrt wäre, würde ich kaputtgehen.“
Für die Kasselerin bedeutet die neue Aufgabe eine Art Rückkehr. Nach der Ausbildung und fünf Jahren Tätigkeit im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach tritt sie im April 1994 in die Kasseler Schwesternschaft ein. Es folgen mehr als zwei Jahrzehnte als chirurgische Schwester in Wehlheiden. Sie hilft, den Standort in Bettenhausen mit aufzubauen. Nur wenige Jahre später schließt sie ihn wieder mit ab. Im Oktober 2019 schließlich übernimmt Kraushaar ihren heutigen Posten in Kaufungen. „Und jetzt bin ich überraschend an beiden Standorten im Einsatz.“
Ausfälle kompensieren und dadurch Dienstpläne retten, Bewerbungsgespräche, Absprachen, Organisation – das Pensum sei hoch, sagt die Pflegedirektorin. Aber die Arbeit mache Spaß. Sie spricht von einem weinenden Auge, wenn sie ihren neuen Schreibtisch wieder räumen muss. Sie spricht aber auch davon, dass es dem Haus guttun wird, wenn jemand von außen frischen Wind hereinbringt. „Ich bin nach so vielen Jahren vielleicht schon ein bisschen betriebsblind“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Neue Ideen könnten jedenfalls nicht schaden.
Abgesehen davon, freut sich Silvia Kraushaar darauf, wenn sie sich wieder voll und ganz dem Standort in Kaufungen widmen kann. Es sei ein schönes kleines Haus, sie habe es schätzen und lieben gelernt. Bis dahin wird die Schlagzahl für die Pflegedirektorin hoch bleiben.