Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum bleiben klinisch lange stumm. Im fortgeschrittenen Stadium gilt es, die zentralen Funktionen der Zunge und damit ein wertvolles Stück Lebensqualität zu erhalten. Dazu rekonstruieren die HNO-Spezialisten des Kopf-Hals-Tumorzentrums am Helios Klinikum Krefeld die entfernten Areale durch körpereigenes Gewebe mithilfe der mikrochirurgischen Transplantation. Ein Verfahren, das nur wenige Kliniken in Deutschland anbieten.
Das Alter von Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren hat sich nach vorne verschoben: Immer mehr Betroffene zwischen 40 und 50 Jahren stellen sich mit Tumoren im Mund-Rachen-Raum vor. Neben Alkohol und Nikotin werden dafür heute auch die sexuell übertragenen Humanen Papillomviren (HPV) als Risikofaktoren für Karzinome verantwortlich gemacht. Je nach Tumorstadium und Schweregrad der Erkrankung müssen im Rahmen der Therapie auch größere Teile der Zunge chirurgisch entfernt werden. In manchen Fällen, bei besonders großen Defekten, kann eine mikrovaskuläre Rekonstruktion der Zunge durch Nachbildung mit transplantiertem Gewebe vom Unterarm, des Oberschenkels oder des Rückens notwendig werden, um die Funktionalität dieses komplexen Muskelorgans bestmöglich wiederherzustellen.
„Unsere Zunge hat eine große Bedeutung für die Zerkleinerung und Beförderung von Speisen, das Schmecken, den Schluckakt und das Sprechen. Dazu benötigt sie ihr Volumen, ihr Tastempfinden und natürlich ihre Geschmacksrezeptoren“, erläutert Prof. Johannes Schultz, HNO-Chefarzt und Leiter des DKG-zertifizierten Kopf-Hals-Tumorzentrums. „Ihre Größe und Beweglichkeit ist entscheidend. Um den Mundraum auszufüllen und ihre Funktionen und Fähigkeiten bestmöglich zu erhalten. Dazu ersetzen wir nach der Entfernung tumoröser Areale größere Defekte durch körpereigenen Gewebeersatz, der mit den vorhandenen Blutgefäßen und Nervenstrukturen mikrochirurgisch verbunden wird.“
Für die Tumorentnahme und sofortige Rekonstruktion des betroffenen Zungenareals arbeiten zwei chirurgische Teams parallel unter seiner Leitung – eines entfernt das von Krebs befallene Gewebe aus der Mundhöhle, das andere entnimmt an einer anderen Stelle des Körpers, meist am Unterarm, die für die Rekonstruktion notwendigen Komponenten: Haut, Unterhautfettgewebe, Blutgefäße und Nerven. Um daraus ein passgenaues Abbild des resezierten Bereiches in der Mundhöhle zu modellieren, muss das Transplantat gut formbar und beweglich sein. Nach dem erfolgreichen Einwachsen des transplantierten Gewebes erhält die rekonstruierte Zunge so wieder das ursprünglich Volumen, ihre Beweglichkeit und Sensibilität.
Die rekonstruktiven Verfahren zum Erhalt ihrer Form und Funktion gewinnen eine zunehmend größere Rolle in der chirurgischen Therapie von Mundhöhlenkarzinomen. „Leider stellen sich Patienten infolge später Symptome und Angst vor Therapie oft erst in einem fortgeschrittenen Tumorstadium vor, so dass komplexe Operationen mit Rekonstruktion notwendig werden“, berichtet Prof. Schultz. „Auf diesem Wege können wir für diese Patientinnen und Patienten aber ein deutliches Plus an Lebensqualität erhalten. Sprechen und Schlucken sind nach etwas Training in aller Regel wieder gut möglich und die Schutzfunktion der Zunge für die Atemwege bleibt erhalten“, erläutert der erfahrene Chirurg, der sich auf die Kopf-Hals-Tumor-Chirurgie spezialisiert hat, die Bedeutung der Rekonstruktion. Die HNO-Klinik betreut gut 150 Patienten mit Krebserkrankungen des Mund-, Nasen- und Rachenraum, des Kehlkopfs und der oberen Atemwege im DKG-zertifizierten Kopf-Hals-Tumorzentrum im Jahr.
Mehr Informationen: Kopf-Hals-Tumorzentrum