Es war wohl einer der dunkelsten Momente im Leben von Ulrike Eckner. Als die 62-Jährige morgens die Zähne putzt, bemerkt sie ein Taubheitsgefühl im Gesicht. Das Zähneputzen will nicht richtig gelingen und sie merkt auch, dass ihr das Sprechen schwer fällt. Dennoch fährt sie pflichtbewusst zur Arbeit. Ulrike Eckner gehört zum Küchenteam der Helios Frankenwaldklinik Kronach. Glücklicherweise bemerkt eine aufmerksame Pflegekraft hier sofort ihren Zustand und bringt sie umgehend in die Notaufnahme. "Sofort war ein Arzt bei mir", erinnert sich Ulrike Eckner. Während Dr. Ron Wachter, der ärztliche Leiter der Notaufnahme, sie als Patientin aufnimmt, wird im Hintergrund bereits alles für eine Kopf-Computertomographie vorbereitet. Die Ergebnisse der Untersuchung werden vom Chefarzt der Radiologie, Dr. Gabor Horvath, bewertet und gleichzeitig einem spezialisierten Neurologen des Schlaganfallnetzwerks "STENO" zur Ansicht zugestellt. STENO steht für Schlaganfallnetzwerk mit Telemedizin in Nordbayern.
In diesem Fall erhält die Bilder ein erfahrener Schlaganfall-Spezialist am Uniklinikum Erlangen, einem von drei Schlaganfallzentren im Kliniknetzwerk STENO. Dann folgt die telemedizinische Fernuntersuchung via Telekonsil. Der Spezialist aus Erlangen hat dabei nicht nur die radiologischen Bilder zur Hand, er sieht auch den kompletten Körper der Patientin über Kamera, spricht mit ihr und nimmt eine detaillierte neurologische Untersuchung vor.
Ulrike Eckner: "Ich hatte große Angst. Ich wusste ja nicht, was mit mir los ist. Mittlerweile hing meine eine Gesichtshälfte nach unten und das Sprechen fiel mir immer schwerer. Ich hatte fürchterliche Sorge, dass es ein Schlaganfall sein könnte. Ich war in diesen schweren Momenten nicht nur für die medizinische Hilfe sehr dankbar, sondern auch für die menschliche Fürsorge. Das war für mich eine enorme Unterstützung."
Nicht mal eine Stunde später liegt Ulrike Eckner in einem Zimmer der Inneren Abteilung der Frankenwaldklinik und erhält Gewissheit. Das Kronacher STENO-Team, unter Leitung von Chefarzt Mohmmad Hamadneh, sowie der Experte vom Erlanger Schlaganfallzentrum sind sich einig: Ulrike Eckner hat keinen Schlaganfall erlitten, sondern leidet an einer Faszialparese, einer halbseitigen Gesichtslähmung, die vermutlich durch eine entgleiste Entzündung des Ohres ausgelöst wurde. Die geeignete Therapie kann sofort eingeleitet werden und auch die Nachsorge steht bereits. Diese erfolgt durch Dr. Andrej Miklas, dem ambulanten Facharzt für Neurologie, der seit 2023 eine eigene Praxis in den Räumlichkeiten der Frankenwaldklinik Kronach betreibt.
Nicht alle Patienten haben so viel Glück wie Ulrike Eckner. Alle zwei Minuten erleidet ein Mensch in Deutschland einen Schlaganfall, in der Fachsprache "Apoplex". Schlaganfälle sind hierzulande, nach Herzinfarkt und Krebs, die dritthäufigste Todesursache. Darüber hinaus gehört der Hirnschlag zu den häufigsten Ursachen für Behinderungen im Erwachsenenalter. Bis zu 40 Prozent der Überlebenden des akuten Schlaganfalls sind im Alltag längerfristig eingeschränkt; viele brauchen dauerhaft Hilfe, manche auch Pflege.
Nur vier Stunden Zeit
"Bei Verdacht auf Schlaganfall zählt jede Minute, um Folgeschäden oder Schlimmeres zu verhindern", betont der ärztliche Direktor und Chefarzt für Intensivmedizin und Anästhesie an der Frankenwaldklinik, Dr. Uwe Fleischmann. "Bei einem Schlaganfall steht uns ein maximales Zeitfenster von vier Stunden zur Verfügung. In dieser Zeit muss die medikamentöse Auflösung eines kleineren Blutgerinnsels bzw. die operative Entfernung eines größeren Thrombus erfolgen. Später verhärtet das Gerinnsel und Hirnsubstanz stirbt ab."
Um den Prozess in der Kette von Notruf - Rettungseinsatz - Transport ins spezialisierte Krankenhaus - Untersuchung - Diagnose - Therapie - Nachbehandlung deutlich zu beschleunigen und qualitativ auf das bestmögliche Niveau zu heben, hat sich die Helios Frankenwaldklinik dem Schlaganfall Netzwerk STENO angeschlossen.
Herzstück des 2007 ins Leben gerufenen Netzwerks ist das Schlaganfallzentrum an der Neurologischen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen, zusammen mit den Zentren in Bayreuth und Nürnberg. Zu den Netzwerkpartnern gehören zudem 20 zertifizierte regionale Kliniken, zu denen nun auch die Frankenwaldklinik zählt.
"STENO gilt als wegweisendes Telemedizin-Modell in der Schlaganfallversorgung. Es ermöglicht die wohnortnahe Behandlung von Patientinnen und Patienten nach modernsten Maßstäben. Jährlich werden mehr als 12 000 Patienten im Netzwerk betreut - das bedeutet eine enorme Expertise. Zudem werden regelmäßige Fortbildungen für Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten in den Häusern durchgeführt", erläutert Chefarzt Hamadneh. Die Experten aus den Zentren stehen Netzwerkkliniken rund um die Uhr für die telemedizinische Mitbeurteilung zur Seite. "Ist ein Schlaganfall medikamentös behandelbar, so erfolgt das sofort bei uns. Ist eine Operation, eine sogenannte ‚Thrombektomie‘, notwendig, werden Patienten in eines der Zentren verlegt. Der Experte vom Schlaganfallzentrum koordiniert die Verlegung und leitet umgehend alles Nötige in die Wege - von der Auswahl der Klinik bis hin zur Vorbereitung des Eingriffes vor Ort. In dieser Zeit können wir den Patienten bereits transportfertig machen", so der Kardiologe. "So verlieren wir keine kostbare Zeit."
Um die 200 Schlaganfallpatienten werden aktuell pro Jahr in der Frankenwaldklinik behandelt. Die meisten kommen aus dem Landkreis Kronach, aber auch aus benachbarten Regionen. Durch die Beteiligung an Steno könnte sich die Patientenzahl noch erhöhen, da verbindliche Behandlungsstandards und ein gemeinsames Qualitätsmanagement noch mehr Expertise und Sicherheit in der Behandlung versprechen. Patienten profitieren zudem von einer Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit) in der Abteilung für Innere Medizin in Kronach.
Zum STENO-Team Kronach gehören das Ärzteteam der Inneren Medizin, der Notaufnahme, die radiologische Abteilung, ein Team aus Pflegekräften mit Expertise für Schlaganfallpatienten, Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden - rund 25 Ärztinnen und Ärzte sowie etwa 80 Mitarbeitende aus dem pflegerischen beziehungsweise therapeutischen Bereich. Ergänzt wird das Kompetenzteam zusätzlich durch den niedergelassenen Neurologen Dr. Andrej Miklas.
"Schlaganfall-Behandlung ist immer Teamarbeit - diese beginnt beim Rettungsdienst, der bei Verdacht eine geeignete Klinik in Wohnortnähe anfährt, geht über den Klinikaufenthalt und wird im Anschluss in den Reha Einrichtungen fortgesetzt", so Dr. Uwe Fleischmann.
"Typische Symptome sind Sehstörungen, Sprach- und Verständnisstörungen, Erinnerungsverlust, Lähmungen und Taubheitsgefühle, Schwindel mit Gangunsicherheit und seltener auch starke Kopfschmerzen. Dazu kommen häufig deutliche Leistungsminderungen in den Extremitäten", erklärt Chefarzt Dr. Uwe Fleischmann, wie man einen Schlaganfall erkennt. Bei Verdacht sollte man sofort den Rettungsdienst alarmieren. Der erfahrene Arzt warnt: "Selbst Lähmungserscheinungen, die nach ein paar Stunden wieder abklingen, können ein Hinweis auf einen kleineren Schlaganfall sein. Sie können Vorboten für einen späteren schwerwiegenden Apoplex sein und sollten immer untersucht und abgeklärt werden.