Viele Langzeitarbeitslose möchten ihre berufliche Situation verbessern, leiden aber gleichzeitig unter psychischen Beeinträchtigungen. Diese oftmals unerkannten und unbehandelt bleibenden Erkrankungen gefährden eine konstante Erwerbsfähigkeit und schränken den Zugang der Betroffenen zur beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe stark ein. Vor diesem Hintergrund setzten das Jobcenter Leipzig, das Helios Park-Klinikum Leipzig und die Universität Leipzig im August 2020 das Projekt LIPSY auf. Es soll Bürgergeld-Empfangenden mit psychischer Erkrankung dabei helfen, die notwendige Versorgung zu erhalten und auf dem Leipziger Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Nun, vier Jahre später, stellen die LIPSY-Initiatoren erste Erkenntnisse vor.
Unterwegs im Notarztwagen: Lebensretter der Nacht
Georg Salloum ist Oberarzt und Neurochirurg der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie am Helios Park-Klinikum Leipzig. Seit Jahren arbeitet er neben seinem Dienst im Krankenhaus als Notarzt in Leipzig.
Vor gerade einmal fünfzehn Minuten ist Georg Salloum in der Station der ASB Rettungswache angekommen. Der groß gewachsene Mann hat in der oberen Etage des Hauses in Leipzigs Theodor-Neubauer-Straße ein Zimmer bezogen, Tasche und Laptop abgestellt, sein Bett fertiggemacht. Genügend Zeit, sich zu sortieren bleibt Salloum heute aber nicht. Der Pieper in seiner linken Hosentasche signalisiert bereits: Ein Notarzt ist angefordert.
Zehn Minuten innerhalb dieser Spanne müssen Georg Salloum und dessen Fahrer Andy Dietze den Einsatzort erreichen. Blaulicht und Martinshorn sorgen für freie Bahn. Dietze, seit 35 Jahren als Rettungsassistent beim ASB tätig, besitzt viel Routine. Unverbesserliche, die das Warnsignal seines Fahrzeugs ignorieren, kennt er zur Genüge. Sicher und pünktlich bringt er den Arzt zur angezeigten Adresse.
An der Mädler Passage wartet bereits ein Rettungswagen auf die beiden. Ein 75-jähriger Passant habe über Herzrhythmusstörungen geklagt, so die erste Diagnose. Georg Salloum ist nicht nur ein erfahrener Mediziner, der Wahl-Leipziger strahlt auch Ruhe aus, demonstriert Übersicht. Ein kurzes Gespräch mit der Frau des Patienten folgt der Rücksprache mit den Rettungssanitätern. Anschließend begleitet Salloum beide ins Herzzentrum Leipzig, wo der Rentner einem gründlichen Check unterzogen wird.
Der Dienst als Notarzt: für Mediziner ist er freiwillig. Georg Salloum übernimmt ihn gern. Zweimal monatlich leistet er 24-Stunden-Dienste, dazu kommen je zwei Dienste über zwölf Stunden an den Wochenenden. Warum tut er das? „Mich fasziniert die Vielfalt der Aufgaben. Vom Kleinkind bis zum Rentner, Männer und Frauen, alle Krankheitsbilder”, so der gebürtige Westfale. Für ihn eine willkommene Abwechslung zur Arbeit im Krankenhaus. Selbst die Abgründe menschlichen Handelns bleibt Notärzten nicht erspart, wenn Opfer von Gewalt ihre Hilfe benötigen. Salloum ist stolz darauf, ihnen zur Seite zu stehen.
Einundzwanzig Stufen braucht es bis zur Wohnungstür. Die steht dem Arzt und seinem Assistenten bereits offen. In einem abgelegenen Zimmer kümmern sich Rettungssanitäter schon um eine Frau, die über akute Atemnot klagt. Salloum hört sie mit dem Stethoskop ab. Die Geräusche ihrer Lunge verheißen nichts Gutes. Dennoch lehnt es die Frau ab, in ein Krankenhaus gebracht zu werden, nennt dafür familiäre Gründe. Andy Dietze macht diese Einstellung wütend. „Dadurch wird der Rettungseinsatz zum Hausbesuch“, schimpft er. Dietze sieht darin eine Verschwendung von Ressourcen. Zum Leidtragen derer, die zeitgleich wirklich ärztliche Hilfe benötigen.
Auch Georg Salloum stimmt dieses Handeln unzufrieden. Ändern kann er es aber nicht. Zwar hätte er die Möglichkeit, die Einweisung mit polizeilicher Unterstützung umzusetzen, in diesem Fall wäre das aber überzogen. Seiner Grundeinstellung als Notarzt kann solches Fehlverhalten jedoch nichts anhaben. Unterstützt und bestärkt wird Salloum in seinem Denken und Handeln auch durch seine Ehefrau Henriette. Als promovierte Anästhesistin und Allgemeinmedizinerin, kennt sie die berufliche Materie ihres Mannes zu gut. Zudem ist Dr. Henriette Salloum ebenfalls überzeugte Notärztin und leistet entsprechende Dienste. Den anstrengenden Spagat zwischen Beruf und Familie, zu der auch die Söhne Hugo, Walter und Henry gehören, meistert das Paar trotzdem bravourös. Nicht zuletzt durch die Hilfe von Au-pair-Mädchen. Wie jede Großstadt, kommt auch Leipzig des nachts nicht zur Ruhe. Für Notarzt Georg Salloum und Rettungsassistent Andy Dietze heißt das, dass sie kurz vor Mitternacht erneut zum Einsatz gerufen werden. Eine Mutter, die ihrem kranken, acht Monate altem Kind Stunden zuvor ein Zäpfchen gegeben hatte, stellte später entsetzt fest, dass die Dosierung für Erwachsene ausgelegt war. Kalte Finger und Blaufärbungen auf den Händen des Mädchens ließen die Mutter den Notruf wählen. Vor Ort konnte das medizinische Team die besorgten Eltern aber beruhigen. Der Wirkstoff hatte längst nachgelassen, ohne Schaden angerichtet zu haben. Für die russischstämmige Familie in glückliches Ende turbulenter Stunden.
Zur Ruhe kamen die medizinischen Einsatzkräfte damit aber nicht. Nahezu stündlich wurden sie die ganze Nacht über durch die Feuerwehrleitstelle angefunkt, bekamen Adressen und erste Diagnosen benannt. „Gerade in der Nacht, wenn der Schlaf seinen Tribut fordert, ist es nicht immer einfach. Aber der Umstand, für andere in der Not da zu sein, setzt Adrenalin frei”, resümiert Salloum. Schon wenige Tage später wird er wieder in Leipzig unterwegs sein, bereit, fremden Menschen seine Hilfe anzubieten.