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Schmerzfrei durch den Stadtverkehr

Nach Monaten des Leids wurden die Schmerzen für René Hessel unerträglich. Ärzte verabreichten dem Leipziger daraufhin so starke Medikamente, das ein normales Leben kaum noch möglich war. Ein winzig dünner Draht, leichte Stromstöße und die Expertise vom Helios Park-Klinikum Leipzig haben letztendlich geholfen, den 60-Jährigen wieder zurück in den Alltag zu holen.
28. Mai 2021

Endlich. Es hat lange gedauert, ehe René Hessel dieses Glücksgefühl wieder ausleben durfte. Zufrieden und in seinen Gedanken frei, lenkt er einen zwölf Meter langen Linienbus durch Leipzigs Innenstadt, bewegt den 15-Tonnen-Koloss zielsicher zur nächsten Station. René Hessel ist Busfahrer aus Leidenschaft. Sein gesamtes Berufsleben hat er hinter dem Steuer zugebracht. Gut möglich, dass diese Passion ihm auch Schaden zufügte. Denn den Komfort heutiger Fahrzeugsitze, ausgerüstet mit Luftfederung, automatischer Gewichtseinstellung oder einer Lendenwirbelstütze, konnten frühere Modelle nicht bieten. Zum Leidtragen der Fahrer wie René Hessel.

Schmerzfrei durch den Stadtverkehr

Im Lendenwirbelbereich verzeichnete René Hessel 2014 erstmals leichte Schmerzen. „Man vermutete einen Bandscheibenvorfall und unterzog mich des üblichen Untersuchungsprogramms – vom Röntgen, über das CT bis zum MRT“, berichtet der 60-Jährige. Fündig wurden die Mediziner dabei nicht. Ihrem Patienten den immer stärker werdenden Schmerz nehmen konnten sie aber auch nicht. Irgendwann hielt der die Qual nicht mehr aus und rief den Notarzt. Das Ergebnis war eine Erhöhung der Tablettendosis, Opiate, die ihn fahruntüchtig machten.

Als selbst die verordnete Schmerztherapie nicht mehr fruchtete, überwies man René Hessel in die psychiatrische Behandlung. Bildete er sich das Leiden ohne auffindbare Ursache nur ein? Mehr als 18 Monate war Hessel nun schon krankgeschrieben und wie es schien, für den Rest des Lebens berufsunfähig. Für die sich einstellende Depressionen gab es somit gute Gründe.

Über eine Bekannte habe er schließlich im Hebst 2019 von der Arbeit des Neurochirurgen Georg Salloum am Helios Park-Klinikum Leipzig erfahren. Für René Hessel der Wendepunkt seiner Krankengeschichte. „Es gibt mit der spinalen rückenmarksnahen Neuromodulation einen Weg, derartige Leiden maßgeblich zu lindern oder sogar zu beenden. Nur leider“, bedauert der Oberarzt und Facharzt für Neurochirurgie, „wissen auch in medizinischen Fachkreisen zu wenige davon.“

René Hessel hatte Glück. Von Georg Salloum bekam er im Oktober 2019 ein Gerät zur Linderung des Leidens testweise implantiert. „Schon der erste Moment bot ein fantastisches Gefühl. Endlich schmerzfrei“, schildert er seine damaligen Empfindungen. Augenblicke zuvor setzte der Neurochirurg ihm unter lokaler Betäubung eine kleine, kaum einen Millimeter dünne Elektrode im Bereich des Wirbelkanals. Die genaue Platzierung bestimmen Arzt und Patient während des Eingriffs gemeinsam. „Der Patient spürt schnell eine Veränderung der Schmerzempfindlichkeit, anhand derer wir uns orientieren”, so Oberarzt Georg Salloum. Anschließend wird die Elektrode an einen Generator angeschlossen, kaum größer als eine Streichholzschachtel. Dieser gibt regelmäßig elektrische Impulse von wenigen Volt ab, welche an die acht Kontakte am Ende des Drahtes geleitet werden. Mit dem Ergebnis, dass die vorherigen Schmerzimpulse irritiert und vom Gehirn nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrgenommen werden. Die Stromhöhe kann der Patient je nach Bedarf selbst regeln – über eine App auf seinem Handy.

Deutschlandweit gibt es etwa 20 Spezialisten wie Georg Salloum, die sich der Neuromodulation annehmen. Dabei reduziert sie nachweislich chronische Schmerzen in erheblichem Maße. Selbst die Krankenkassen sind von dem System überzeugt und übernehmen alle anfallenden Kosten.

René Hessel lebt heute wieder schmerzfrei. Zwar musste der Sitz der Elektrode mit der Zeit nochmals korrigiert werden, doch das sei im Verlauf des Heilungsprozesses nicht ungewöhnlich. „Es ist ein völlig neues Lebensgefühl”, beschreibt er seinen aktuellen Gemütszustand. Zu dem trägt sicher auch bei, dass sein Arbeitgeber an ihn glaubte und trotz zweijähriger Krankschreibung an dem erfahrenen Berufskraftfahrer festhielt. Dankbar ist René Hessel aber auch seiner Familie, die während der gesamten Zeit fest zu ihm stand sowie Oberarzt Salloum. „Ohne ihn wäre ich heute wohl ein Sozialfall, der nur mit hoch dosierten Schmerzmitteln über den Tag kommt“, stellt er klar. Nun aber zeigt sich ein anderes Bild. „Seit wenigen Tagen sitze ich wieder hinter dem Steuer meines Busses. Das habe ich wirklich vermisst“, sagt er, bereit zur nächsten Tour durch Leipzig.

Die rückenmarksnahe Stimulation (englisch Spinal Cord Stimulation) ist ein neurologisches Therapieverfahren, bei dem chronische Schmerzen mittels elektrischer Impulse behandelt werden. Sie kommt dann zur Anwendung, wenn alle anderen Schmerztherapien ausgeschöpft sind.