Suchen
Menü
Schließen

Leipziger Modellprojekt LIPSY gibt psychisch erkrankten Langzeitarbeitslosen neue Perspektive auf dem Arbeitsmarkt

Viele Langzeitarbeitslose möchten ihre berufliche Situation verbessern, leiden aber gleichzeitig unter psychischen Beeinträchtigungen. Diese oftmals unerkannten und unbehandelt bleibenden Erkrankungen gefährden eine konstante Erwerbsfähigkeit und schränken den Zugang der Betroffenen zur beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe stark ein. Vor diesem Hintergrund setzten das Jobcenter Leipzig, das Helios Park-Klinikum Leipzig und die Universität Leipzig im August 2020 das Projekt LIPSY auf. Es soll Bürgergeld-Empfangenden mit psychischer Erkrankung dabei helfen, die notwendige Versorgung zu erhalten und auf dem Leipziger Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Nun, vier Jahre später, stellen die LIPSY-Initiatoren erste Erkenntnisse vor.

13. November 2024
Psychologin Luise Bieler im Beratungsgespräch

Die Vermittlung der Teilnehmenden in das Projekt LIPSY – einer Abkürzung für „Leipzig Individual Placement & Support für Menschen mit psychischer Erkrankung“ – erfolgt durch über 240 speziell für das Projekt geschulte Integrationsfachkräfte des Leipziger Jobcenters. Wenn in den Vermittlungsgesprächen psychische Belastungen thematisiert werden, bieten diese ihnen eine freiwillige Teilnahme am Programm an. Die Teilnehmenden absolvieren dann zunächst eine psychologische Ersteinschätzung bei einer der Psychologinnen des Helios Park-Klinikums, die vor Ort im Jobcenter tätig sind. Im Rahmen der psychologischen Diagnostik geht es auch um psychosoziale Hintergründe wie Schulden, Sucht oder Einsamkeit, aber auch bestehende Veränderungswünsche.

Im anschließenden Auswertungsgespräch werden mit den Teilnehmenden die Ergebnisse der Diagnostik und mögliche weiterführende Hilfen im Leipziger Versorgungsnetz besprochen. Dazu gehört die Vermittlung in das Hilfesystem der Stadt Leipzig, also beispielsweise an Fachärzte, Psychotherapeuten, Beratungsstellen oder in Selbsthilfegruppen. Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen bekommen ein Behandlungsangebot in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) des Helios Park-Klinikums Leipzig.

Gesundheits- und beschäftigungsorientierte Beratung

Im zweiten Teil des Projekts erhalten die Teilnehmenden berufliche Unterstützungsangebote mit ganzheitlichem Ansatz: Ein im Rahmen des Projekts etabliertes Team des Jobcenters berät die Teilnehmenden zu möglichen beruflichen Perspektiven. Die Beratung ist dabei immer gleichzeitig gesundheits- und beschäftigungsorientiert ausgerichtet. Erfahrungen zeigen, dass bereits die Schaffung einer beruflichen Perspektive den Genesungsprozess befördert und Betroffene motiviert, sich noch mehr für ihre eigene Gesundheit stark zu machen.

Fokus auf die Ressourcen und Potentiale der Teilnehmenden

Teilnehmende, die durch das psychologisch besetzte Projektteam im Jobcenter Leipzig mit einer schwereren psychischen Erkrankung diagnostiziert wurden, haben die Möglichkeit, in der Psychiatrischen Institutsambulanz des Helios Parkklinikums ein individuell, bedarf- und ressourcenorientiertes Jobcoaching in Anspruch zu nehmen. Frau Prof. Katarina Stengler, Leiterin des LIPSY-Projektteils im Zentrum für Seelische Gesundheit des Helios Park-Klinikums Leipzig betont: 

Helios Park-Klinikum Leipzig - Psychiatrische Kliniken

Direktorin des Zentrums für Seelische Gesundheit, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie

Die Orientierung liegt auf dem individuellen Leistungskorridor der Teilnehmenden, die insbesondere von der engen Verzahnung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungsangebote und der arbeits- und beschäftigungsorientierten Begleitung durch die Jobcoaches profitieren.

Die Jobcoaches, als Teil des multiprofessionell aufgestellten therapeutischen Teams, unterstützen bei der berufliche (Neu-) Orientierung, der Arbeitsaufnahme und begleiten Teilnehmende auch nach erfolgter Aufnahme der beruflichen Tätigkeit weiter - bei Bedarf langfristig und ohne zeitliches Limit.

Die Beratungsteams stellen die vorhandenen Stärken und Potentiale der Menschen in den Mittelpunkt und durchbrechen damit eine oftmals schon jahrelang bestehende Resignation angesichts der eigenen Defizite. Das beginnt bei der Betrachtung der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen: „Es ist für die Menschen sehr wichtig zu hören, dass sie nichts für ihre Erkrankung können. Sie haben es sich nicht ausgesucht und sie müssen nicht allein damit klarkommen. Für die meisten Krankheitsbilder gibt es Hilfe, die man in Anspruch nehmen darf. Eine psychische Erkrankung muss nicht immer ein Dauerzustand sein“, beschreibt Luise Bieler, Psychologin am Helios Park-Klinikum Leipzig und für die Projektzeit im Jobcenter Leipzig tätig.

„Viele Teilnehmende erstaunlich jung”

Mathias Alberti, Diplom-Sozialpädagoge und Projektkoordinator des Modellprojekts LIPSY für das Helios Parkklinikum Leipzig, blickt auf die vergangenen vier Jahre zurück: 

Helios Park-Klinikum Leipzig - Psychiatrische Kliniken

Projektkoordinator Modellprojekt LIPSY

Die Resonanz auf das Angebot war von Anfang an sehr positiv. Durch die Präsenz der Psychologinnen direkt im Jobcenter ist die Teilnahme für Betroffene unkompliziert und der Einstieg ins Projekt fällt ihnen dadurch leichter. Seit August 2020 hatten wir über 1.200 Anmeldungen – trotz der zwischenzeitlichen Covid-Beschränkungen in den ersten beiden Projektjahren.

Prof. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Universität Leipzig, verantwortlich für die Evaluation des Projekts, ergänzt: „Überraschend ist, wie jung viele der Teilnehmenden sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Viele dieser Menschen sind bereits über fünf Jahre arbeitslos.“ Dr. Maria Koschig, Wissenschaftlerin am ISAP, fügt hinzu: „In knapp der Hälfte der Fälle waren die Teilnehmenden trotz krankheitsrelevanter Symptomatik zu Projekteintritt weder in psychotherapeutischer noch in psychiatrischer oder neurologischer Behandlung. Diese Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht.“

Ausblick: Verstetigung ist wünschenswert

Die angesetzte Projektlaufzeit von LIPSY endet im Sommer 2025. Das letzte halbe Jahr werden die Projektpartner mit der Auswertung des Projekts sowie der Begleitevaluation verbringen, die das Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Public Health (ISAP) der Universität Leipzig umsetzt. „Das Ziel der Beteiligten ist eine Verstetigung erfolgreicher Projektteile“, unterstreicht Alexander Macheit, Projektkoordinator für das Jobcenter Leipzig. „Wir sind mit Akteuren auf Landes- und Bundesebene im Austausch, um arbeitssuchenden Menschen mit psychischen Einschränkungen auch langfristig eine Perspektive bieten zu können. Aus unserer Sicht hat sich die im Modellprojekt praktizierte Zusammenarbeit von Jobcenter Leipzig und Helios Park-Klinikum Leipzig im Sinne der Teilnehmenden als äußerst hilfreich und erfolgreich erwiesen.“