Im Herbst 2022 hat Stefan Polpitz zum ersten Mal das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Seine Magenprobleme, die ihn immer wieder begleiten, verstärken sich. „Da habe ich schon geahnt, dass es Krebs sein könnte. Aber für Krankheit hatte ich einfach keine Zeit. Ich habe die Untersuchung hinausgezögert und das Thema verdrängt“, blickt der gelernte Gärtner zurück. „Das Verdrängen von Krankheitssymptomen wider den eigenen Verstand ist ein völlig absurdes Verhalten, aber sehr häufig und typisch menschlich“, ordnet Michael Krieg ein. Krieg ist Diakon und Klinikseelsorger des Evangelischen Kirchenkreises Leine-Solling in der Helios Albert-Schweitzer-Klinik Northeim.
Tumor verschließt Magenausgang
Erst als er Anfang Februar 2023 wegen Blutarmut zum Notfall wird – der Tumor hatte viel Blut aufgebraucht – erhält Polpitz die Diagnose Magenkrebs. In der Northeimer Klinik bekommt er zunächst Bluttransfusionen und unterzieht sich einer Magenspiegelung. Proben werden entnommen und der Fall in der Tumorkonferenz besprochen. Ric-Alexander Steifensand, Leitender Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie, kümmert sich um den dreifachen Vater.
Die unausweichliche Entscheidung: Weil der Tumor den Magenausgang verschließt, muss Steifensand mit seinem Team den Magen komplett entfernen. Der Oberarzt begleitet den Patienten während des gesamten stationären Aufenthaltes bis zur Vermittlung der Chemotherapie im Anschluss. Doch trotz der erfolgreichen operativen Behandlung ist seine Prognose aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung unsicher. Viele Magenkrebspatienten sterben innerhalb von fünf Jahren nach der Erstdiagnose.
„Die ruhige und ehrliche Kommunikation über Krankheit, Behandlung und Zukunftsperspektiven haben mir sehr geholfen – ebenso wie die freundliche Zuwendung aller Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte“, sagt Stefan Polpitz. Trotz der fürsorglichen Pflege ging es ihm nach der Operation, während er über und über mit Schläuchen versehen auf der Intensivstation liegt, zuerst schlecht. Innerlich schließt er mit dem Leben ab. „Leid und Anstrengung standen ihm ins Gesicht geschrieben“, erinnert sich Seelsorger Krieg. Von jetzt an sind es neben der medizinischen Versorgung auch die täglichen Gespräche mit dem 56-jährigen Diakon, die Polpitz helfen, wieder Kraft zu gewinnen.
Wofür lohnt es sich zu leben?
„Gemeinsam haben wir über Glauben, Beziehungen und all die Dinge gesprochen, die im Leben tragen. Im Kern stand die Frage: Was ist es, wofür es sich zu leben lohnt? Diese Frage kann jeder nur für sich selbst beantworten“, berichtet Krieg. Polpitz beginnt, für sich Antworten zu formulieren. So kehrt der Lebensmut während des mehrwöchigen Klinikaufenthaltes Schritt für Schritt zurück. „Und das beeinflusst auch die physische Gesundung positiv“, weiß wiederum Oberarzt Steifensand.
Stefan Polpitz geht es heute, nach Abschluss der ersten Chemotherapie, viel besser. Trotzdem weiß er nicht, wieviel Lebenszeit ihm noch bleibt. Doch mit dieser Ungewissheit geht Polpitz jetzt gelassener um – und bleibt so aktiv wie es die Gesundheit eben gerade zulässt: Gemeinsam mit Seelsorger Krieg bereitet er einen Sommergottesdienst an der Northeimer Klinik vor. Außerdem verbringt er mehr Zeit mit seinen erwachsenen Kindern, plant Reisen mit seinem Lebensgefährten, trifft sich gerne mit den früheren Arbeitskollegen und kümmert sich um den eigenen Garten.
Er lebe heute viel bewusster, sagt er. „Im Frühjahr habe ich Tomaten gepflanzt – ohne zu wissen, ob ich noch ernten werde. Jetzt sind die ersten Früchte tatsächlich reif geworden und ich konnte ernten“, berichtet der 57-Jährige mit einem breiten Lächeln. Aufgeben will Stefan Polpitz noch lange nicht.
Foto: Martin Wilmsmeier/ Helios Kliniken
Bildunterschrift: Reden hilft: Seelsorger Michael Krieg (links) und Stefan Polpitz im klinikeigenen Raum der Stille.