Weiterbildungscurriculum „Palliativmedizin“ im Palliativzentrum
Helios Kliniken Schwerin
1. Definition Palliative Care:
Nach der WHO-Definition von 2002 ist die Palliativversorgung ein Ansatz, der die Lebensqualität von Patient:Innen mit fortgeschrittenen und lebensbedrohenden Erkrankungen und ihren Familien verbessert. Dies soll durch Prävention und Linderung von Leiden durch frühzeitiges Erkennen,
ganzheitliches Erfassen und Behandlung von Symptomen auf körperlicher, psychischer, sozialer und spiritueller Ebene erfolgen.
2. Grundsätze der Palliative Care in unserer Weiterbildungsstätte:
Wir bieten Spezialisierte Palliative Care an. Zielgruppe sind somit Patient:Innnen mit komplexer Symptomatik und hohem Behandlungsbedarf. Wir verstehen Palliativversorgung so, dass Lebensqualität und Selbstbestimmung schwerkranker Menschen und ihrer Angehörigen erhalten, gefördert und verbessert werden sollen und ein würdevolles Leben bis zuletzt möglich wird. Dabei soll das Sterben als ein Teil des Lebens begriffen werden. Nicht die Therapie der Grunderkrankung steht im Mittelpunkt unseres Behandlungskonzeptes, sondern eine multimodale, interdisziplinäre
Symptomkontrolle. Individuelle Symptome werden in ihren körperlichen, seelischen, sozialen und existenziellen Dimensionen erfasst und behandelt („total pain“ nach Cicely Saunders). Hierzu ist ein multiprofessionelles Behandlungsteam notwendig. Die einzelnen Mitglieder dieses Teams benötigen theoretisches Wissen, praktische Kompetenzen und Haltungen, die sie zur Wahrnehmung der Patient:Innen und Angehörigen in allen Dimensionen und zu entsprechenden symptomorientierten Behandlungen befähigen. Individuellen Bedürfnisse, Werte und Wünsche der Patient:Innen und ihrer Angehörigen werden in Prozessen der Vorsorgeplanung (Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht, advance care planning) besprochen, dokumentiert und umgesetzt. Unser Ziel ist eine für alle verfügbare, in der Regelversorgung verankerte Palliative Care, die zu jedem
Zeitpunkt im Krankheitsverlauf die Lebensqualität der Betroffenen stabilisiert (early integration of palliative care). Dazu nehmen Teammitglieder an interdisziplinären Tumorboards teil und bieten einen palliativmedizinischen Konsildienst an.
3. Aufbau der Weiterbildungsstätte:
Das Palliativzentrum Schwerin ist eine eigenständige Abteilung in den Helios Kliniken Schwerin (Maximalversorger) und wird von einem Chefarzt (m/w/d) geleitet. Dabei ist das Palliativzentrum innerhalb des Zentrums für onkologische Medizin angesiedelt und der Chefarzt ist sowohl in
Entscheidungsprozesse auf Klinikebene als auch auf Zentrumsebene eingebunden. Zusätzlich ist das Palliativzentrum Mitglied des DKG-zertifizierten Onkologischen Zentrums (Level CC) und als Abteilung
der Helios Kliniken Schwerin auch Ausbildungsstätte im Sinne eines Lehrkrankenhauses für die Medical School Hamburg.
Neben Krebspatient:Innen werden auch Personen mit anderen unheilbaren fortgeschrittenen und fortschreitenden Erkrankungen, zum Beispiel aus dem internistischen sowie neurologischen Fachgebiet, betreut.
Das Palliativzentrum Schwerin besteht aus den drei Teilbereichen
• Palliativstation mit 12+1 Betten (2022: 206 Neuaufnahmen, 330 Fälle)
• palliativmedizinischer Konsildienst, 2022: 635 Konsile)
Eine vertraglich festgelegte Kooperation mit externen Partnern wie Haus- und Fachärzten (BQKPMV nach § 87 Abs. 1b SGB V), ambulanten Hospizdiensten und stationären Hospizen, Pflegediensten und Home-Care-Unternehmen besteht zusätzlich und bietet eine umfassende Vernetzung und
multiprofessionelle Begleitung für die stationäre und ambulante Versorgung der Patient:Innen.
Mitglieder des interdisziplinären und multiprofessionellen Teams sind:
• Pflegende
• Ärzt:Innen
• Physiotherapeuten/ Logopäden / Ergotherapeuten (m/w/d)
• Psychoonkolog:Innen
• Ernährungsberater:Innen
• Musik,- Kunsttherapeut:Innen
• Seelsorger:Innen
• Soziale Arbeit / Entlassmanagement
4. Voraussetzungen für Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“:
• Facharztanerkennung in einem patientennahen Fachgebiet
• Teilnahme an einem 40-Stunden-Basiskurs Palliativmedizin (zertifiziert)
• Rotation in eine stationäre Palliativeinrichtung (zert. Weiterbildungsstätte) für mindestens 3 Monate
• Teilnahme an einem 40-Stunden-Fallseminar unter Supervision oder alternativ weitere drei Monate Weiterbildung (zert. Weiterbildungsstätte)
Das Weiterbildungscurriculum am Palliativzentrum Schwerin bietet ärztlichen Kandidat:Innen die geforderten Rotationszeiten (3-6 Monate) an und ermöglicht ihnen somit den Erwerb der Zusatzbezeichnung. Ein vierwöchiger Einsatz im ambulanten palliativen Setting (SAPV) soll im Rahmen
der Weiterbildung erfolgen (s. aktuelle Version Weiterbildungsordnung Palliativmedizin der ÄK Mecklenburg-Vorpommern)
5. Inhalt der Weiterbildung:
5.1 Ziel der Weiterbildung ist die Vermittlung der Fähigkeiten, Haltungen und Kenntnisse zum
erfolgreichen Erwerb der Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“. Die Weiterbildung soll dazu
beitragen, die Regelversorgung schwerkranker Patient:Innen zu verbessern.
5.2 Die Weiterzubildenden sollen medikamentöse und nichtmedikamentöse sowie
interprofessionelle Ansätze zur Symptomlinderung erlernen und erfahren, dass
palliativmedizinische Betreuung ein sehr dynamischer Prozess ist, der ein hohes Maß an
Flexibilität sowie Antizipation erfordert. Die Integration der Angehörigen in das
Versorgungskonzept ist von höchster Relevanz.
5.3 Es soll vermittelt werden, dass eine frühzeitige Integration von Palliative Care dazu beitragen
kann, die Lebensqualität zu erhalten, Übertherapien zu vermeiden und psychosoziale
Gesundheit sowie die Überlebenszeit zu verbessern.
5.4 Es soll erfahrbar gemacht werden, dass eine Betreuung und Behandlung von Patient:Innen im
palliativen Kontext an den Wünschen, Wertvorstellungen und Bedürfnissen des Patienten nur gelingen kann, wenn die eigene Reflexion zu den Themen „Ende des Lebens, Krankheit, Tod und Sterben sowie Trauer“ erfolgt.
5.5 Die Weiterzubildenden sollen lernen, dass durch die Erweiterung von
Kommunikationskompetenz, der Arbeit als Teil eines multidisziplinären Teams, die Berücksichtigung ethisch-rechtlicher Fragestellungen und die Koordination einer interdisziplinären Zusammenarbeit, Versorgungskompetenz und Betreuungskontinuität die Qualität der ärztlichen Arbeit deutlich verbessert wird.
6. Ziele:
Die Weiterzubildenden sollen
6.1. eine mehrdimensionale Anamnese unter Berücksichtigung körperlicher, psychosozialer, psychologischer und spiritueller Aspekte erheben können
6.2. eine palliativmedizinische Befunderhebung unter Anwendung validierter Screening- und Assessmenttools durchführen können
6.3. Gespräche mit Schwerkranken, Sterbenden und deren Angehörigen führen, sie beraten und unterstützen, und Zugang zu weitergehenden Angeboten (z.B. zu SAPV sowie ehrenamtlichen Diensten) ermöglichen können
6.4. eine adäquate ambulante Versorgung unter Einbeziehen der Angehörigen planen und Notfallpläne erstellen können
6.5. Symptomkontrolle bei Schmerzen, Atemnot, Hustenreiz, Übelkeit/ Erbrechen, Obstipation, malignen und ulzerierenden Wunden, Angst, Unruhe, Delir, Depression, Schlaflosigkeit, Juckreiz u.a. durchführen können und dabei palliativmedizinisch relevante Indikationen und Interaktionen kennen
6.6. akute und chronische Schmerzqualitäten, -ursachen und deren Behandlungsoptionen kennen
6.7. die Prinzipien der Indikationsstellung, Aufklärung und Durchführung einer palliativen Sedierung kennen
6.8. in den multiprofessionellen Teams arbeiten und den ärztlichen Anteil in tägliche und wöchentliche Teambesprechungen einbringen: unter Supervision im SAPV-Team Schwerin (1 Monat) und im palliativmedizinischen Konsildienst
6.9. die eigene Haltung zu Tod und Sterben reflektieren und sich mit Sterben, Tod und Trauer in verschiedenen kulturellen Kontexten auseinandersetzen
6.10. Aufnahmekriterien und gesetzliche Zugangsvoraussetzungen der Palliativstation, SAPV und des Hospizes kennenlernen, entsprechende Anträge (z.B. Muster 63) ausfüllen 6.11. das Betäubungsmittelgesetz und die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung kennen und selbstständig Betäubungsmittelrezepte ausfüllen
6.12. eine Leichenschau durchführen und die Todesbescheinigung korrekt ausfüllen können
6.13. an Supervisionen teilnehmen
7. Ablauf der strukturierten Weiterbildung:
Nach einer entsprechenden Einarbeitungszeit (in der Regel ca. 1 Monat) nimmt der/die neue Mitarbeitende am Dienstsystem der Abteilung teil (Wochenendvisiten sowie Rufdienste) und führt die anfallenden Aufgaben durch. Es steht jederzeit einE PalliativmedizinerIn für Rückfragen zur Verfügung.
Zudem sollen alle Mitarbeiter unter Supervision die Versorgung im Konsildienst sowie der SAPV – dort mindestens 1 Monat – kennenlernen und, je nach Ausbildungsstand, in die Patientenversorgung eingebunden werden (s. Ziel 6.8). Der zeitliche Einsatz in den verschiedenen Bereichen kann aus organisatorischen Gründen variieren. Ein Zeitplan zum Einsatz in den verschiedenen Bereichen sollte in der ersten Woche ausgehändigt werden. Aus organisatorischen Gründen können sich jedoch auch im Nachhinein Änderungen ergeben, welche von der Weiterbildungsbeauftragten festgelegt und kommuniziert werden.
Die Teilnahme an palliativmedizinischen Fortbildungen wird ausdrücklich begrüßt. Alle ärztlichen Mitarbeitenden werden in die wöchentliche interne Fortbildungsreihe Palliativmedizin eingebunden. Nach Durchlaufen dieses Programmes sind die fachlichen Voraussetzungen zum Ablegen der Prüfung
vor der Ärztekammer gegeben sein. Das Konzept dient auch der strukturierten Weiterbildung der rotierenden AssistenzärztInnen. Eine Einarbeitungscheckliste sowie ein Einarbeitungskonzept für ÄrztInnen im Palliativzentrum liegen vor.
8. Verantwortlichkeiten und Ausbildungsbefugte:
- Weiterbildungsbefugnis Zusatzbezeichnung „Palliativmedizin“: B. Annweiler, Prof. Dr. J. Bükki, K. Dibbert
- Weiterbildungsbefugnis Fachärztin/Facharzt „Innere Medizin“ (6 Monate): Prof. Dr. J. Bükki