Ein Zufall treibt Ben Scattolo von Bern (Schweiz) in die über 1.150 Kilometer entfernte Kleinstadt Stralsund. Eines Abends sieht er bei Youtube die NDR Nordreportage „100 Kilo weniger - Der schwere Weg zur Leichtigkeit“ über Patienten des Adipositaszentrums am Helios Hanseklinikum Stralsund. „Das ganzheitliche Behandlungskonzept ist selten und hat mich gleich begeistert. Außerdem wirkte die Atmosphäre sehr einladend. Also hab ich mir gedacht, da muss ich hin.“ In der Schweiz sei Adipositas gar nicht so präsent, sagt der 27-Jährige. In Mecklenburg-Vorpommern dagegen ist sie ein gesellschaftliches Problem. 50 Prozent der Menschen sind übergewichtig, jeder vierte ist adipös, leidet also an einem krankhaften Übergewicht. „Mich hat vor allem interessiert, wie Menschen auf diesem schweren Weg begleitet werden. Die Psychiatrie hatte ich erst gar nicht im Blick, aber hier konnte ich die Entwicklung über ein paar Wochen am besten verfolgen.“
Für Ben ist Stralsund eine Station während seines Praktischen Jahres (PJ). Es bildet den letzten Abschnitt des Medizinstudiums. Während das PJ in Deutschland auf Tertiale aufgeteilt ist, kann Ben in der Schweiz jeden Monat in einem anderen Bereich hospitieren. Stralsund ist seine einzige Station in Deutschland. Den Wonnemonat Mai hat er hier verbracht und durfte in der Tagesklinik Adipositas nicht nur zuschauen, sondern auch aktiv mitmachen. „Ich wurde super involviert und durfte viele Aufgaben selbstständig oder in Begleitung ausüben, wie Gruppen- und Einzelgespräche oder Aufnahme- und Entlassgespräche führen“, sagt Ben. Aber auch bei den Besonderheiten der Tagesklinik, dem therapeutisch begleiteten Essen, Sporttrommeln Drums alive und der Körperbildtherapie, konnte Ben viele Eindrücke und Wissen mitnehmen.
Den gesamten Menschen im Blick
Am Klinikum West haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tagesklinik einen besonderen Blick auf die Probleme übergewichtiger Menschen und auch auf die Folgeerkrankungen. „Ich finde es bei der medizinischen Behandlung wichtig, die Diagnose nicht losgelöst zu treffen, sondern auf die gesamte Person einzugehen“, sagt Ben. Besonders beeindruckt habe ihn, was der Begriff Anspannung bedeuten kann. „Die meisten Personen verbinden mit Essen etwas Schönes, wie Genuss oder Zusammensein mit geliebten Menschen. Für viele der Patienten hier bedeutet Essen Stress. Das musste ich erst einmal verstehen.“
Neben der Arbeit haben Stralsund und die Region mit der Insel Rügen ihre ganz besonderen Anziehungspunkte. Diese sollten beim einmonatigen Aufenthalt „hier oben“ nicht unentdeckt bleiben. Per Fahrrad, welches Ben von den Vermietern seines WG-Zimmers zur freien Verfügung bekommen hat, erkundete er Stralsund und den Süden der Insel Rügen. Mit dem Zug ging es nach Binz und Prora, aber auch in die Großstädte nach Hamburg und Berlin.
Im Juni geht es für den begeisterten Fahrradfahrer und Pfadfinder wieder zurück in die Schweiz, um den nächsten Monat in einer Notaufnahme zu absolvieren.