Gesicht unter Spannung
Zwei Jahre lang hat sich die inzwischen 35-Jährige Fachärztin intensiv mit den Tumoren im Gesicht beschäftigt und die Ergebnisse in einer Doktorarbeit niedergelegt. Viele Patienten mit Tuberöser Sklerose haben schwerwiegendere Krankheitsverläufe. Oft leiden sie unter Krampfanfällen, sind geistig zurückgeblieben und weisen autistisches Verhalten auf. „Eine meiner Patientinnen schlägt in regelmäßigem Takt ihren Kopf gegen die Wand. Da ist der Tumor im Gesicht nicht das Vordringlichste.
All diejenigen, bei denen die Knötchen jedoch die vordringlichste Ausprägung der Tuberösen Sklerose sind, erleben dies natürlich als erhebliche Einschränkung.“ Die warmen, knallroten Knötchen setzen das gesamte Gesicht unter Spannung. Sommerliche Temperaturen verschlimmern die Beschwerden zusätzlich.
Diese Hauterscheinungen brechen meist im frühen Schulkindalter aus, also mitten in dem Lebensabschnitt, in dem viele neue Faktoren das Miteinander beeinflussen, unter anderem die Bewertung des Äußeren. Die betroffenen Jungen und Mädchen fühlen sich stigmatisiert, werden ausgeschlossen, gekränkt, gemobbt. Die Folge ist klar: Rückzug aus der Gemeinschaft. Ihr Selbstbewusstsein leidet enorm, Zukunftsängste und Depressionen machen sich breit. Um sich Linderung zu verschaffen, mussten sich Patienten bisher Operationen, Kälte- oder Lasertherapien unterziehen. Dr. Pfaff legt die Stirn in Falten: „All diese Behandlungen sind schmerzhaft, aufwendig und müssen regelmäßig wiederholt werden, denn die Knötchen setzen ihr Wachstum stetig fort.“
Wirkstoff aus der Krebsbehandlung
Doch bei ihren Recherchen kam ihr eine einfache, aber geniale Methode zu Ohren. In Japan und in den USA war eine Salbe mit einem aus der Krebsbehandlung bekannten Wirkstoff getestet worden. Zwar an einer verschwindend kleinen Patientengruppe – aber mit vielversprechendem Ergebnis. Ein Hoffnungsschimmer gegen die Knötchen im Gesicht? Hier setzte Dr. Pfaff an, analysierte und verglich die Zusammensetzungen der Salben und traf immer wieder auf einen Wirkstoff: Sirolimus. „Der Wirkstoff ist bereits in der Transplantationsmedizin und in der Onkologie bekannt. Und ein ganz ähnlicher Wirkstoff, das Everolimus, wird bereits zum Abbremsen des ungehemmten Zellwachstums bei Tuberöser Sklerose im Gehirn mit Erfolg eingesetzt. Möglicherweise kann Sirolimus als Bestandteil einer Salbe die Knötchenbildung im Gesicht zurückdrängen“, so die Hoffnung der Ärztin.
Bestärkt von ihrem Doktorvater und Chef, Prof. Dr. Markus Knuf, wog die damalige Assistenzärztin die Erfolgsaussichten und die Machbarkeit einer eigenen Versuchsreihe ab. Rasch war beiden klar: Ein Heilversuch lohnt garantiert. Kurz darauf startete Dr. Pfaff ihre Suche nach Patienten. Kein leichtes Unterfangen, da die Erkrankung selten vorkommt.
Endlich ohne Make-up
Sechs Monate dauerte der Versuch, bei dem die Patienten nur eine Aufgabe hatten: einmal täglich abends sorgfältig die Sirolimus-Salbe auftragen. „Ich hatte vollstes Vertrauen, dass sich alle an den Versuchsplan halten. Der Leidensdruck ist hoch genug und das Prozedere einfach und schmerzfrei“, begründet Dr. Pfaff. Unvergesslich dann die Begegnungen nach den ersten vier Wochen Versuchsdauer: „Ich war selbst sehr gespannt und habe es sofort gesehen: Die Knötchen hatten sich bei den meisten deutlich zurückgebildet, und die Patienten waren in einer ganz anderen Stimmung. Viele waren einfach glücklich!“, erinnert sich die Ärztin. Auch klingelte ihr privates Telefon: „Eine Patientin rief mich aus dem Kaufhaus an. Sie konnte nicht abwarten, mir zu erzählen, dass sie das erste Mal ohne Make-up aus dem Haus gegangen war. Es war für viele eine Befreiung.“
Dr. Pfaff sah ihre Patienten nach drei und nach sechs Monaten wieder. Die Haut verbesserte sich weiter deutlich, die Rötungen ließen nach, die Knoten wurden flacher und breiteten sich weniger aus. Der Wirkstoff sorgte also für die erhoffte Linderung, indem er das durch den Gendefekt angetriebene Zellwachstum hemmte. Dann die Gegenprobe: Nach sechs Monaten verordnet Dr. Pfaff ihren Patienten eine vierwöchige Behandlungspause. Der Salbenentzug blieb nicht ohne Folgen, die Knötchen begannen wieder zu blühen. „Damit war belegt: Die Salbe wirkt. Sie hält die Tumorbildung bei dauerhaftem Anwenden in Schach und sie erzeugt bei keinem der untersuchten Patienten Nebenwirkungen.“
Während Dr. Pfaff kurze Einblicke in einzelne Patientengeschichten gibt, ist ihr anzusehen, wie glücklich auch sie ist. Gesegnet mit einem ohnehin entspannten, durchweg positiven Wesen, strahlt ihr Gesicht doppelt. Ist sie stolz auf ihre Leistung? „Nein, zufrieden. Denn nichts ist erfüllender, als helfen zu können. Gerade unsere chronisch kranken Kinder begleiten wir oft sehr lange. Wir erleben sie in ihrer spannendsten Entwicklungsphase und bauen eine Beziehung zu ihnen und ihren Familien auf. Das erlebt sonst nur ein niedergelassener Kinderarzt. Für mich ist das ein ganz wertvoller Teil meiner Arbeit.“
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